Aufräumen nach der Beinahe-Katastrophe

Mannheim · Ein Güterzug rammt einen Eurocity kurz vor dem Mannheimer Hauptbahnhof. 35 Passagiere werden verletzt, vier schwer. Während die Aufräumarbeiten an der Unfallstelle in vollem Gang sind, rätselt die Bundespolizei noch über die Ursache.

Großes Aufräumen am Mannheimer Hauptbahnhof - und auch Erleichterung: Wo am Freitagabend ein Güterzug und ein Eurocity zusammen stießen, richten gestern zwei riesige rote Kräne die umgekippten Container wieder auf und heben die Lok des Güterzuges aus dem Gleisbett. Die Aufräumarbeiten laufen auf Hochtouren, rund 40 Mitarbeiter der Bahn wollen die Strecke so schnell wie möglich freiräumen. Sie setzen schweres Gerät ein, darunter Hilfszüge und die 75-Tonnen-Kräne, die extra aus Leipzig und Fulda geordert wurden. Wenn sie ihre Arbeit abgeschlossen haben, wird nur noch wenig daran erinnern, dass es am Freitagabend fast zu einer Katastrophe gekommen war.

Gegen 20.50 Uhr rammt ein Güterzug der Firma ERS Railways den Eurocity 216 mit 250 Passagieren an Bord. Durch den Zusammenstoß kippen zwei Waggons des Personenzuges um - und mit ihnen 110 Fahrgäste. Die Wagen liegen auf der Seite, die Räder am Fahrgestell ragen in die dunkle Nacht hinein.

"Ich habe den Zusammenstoß zuerst nicht wahrgenommen", sagt Harald Geppert, der als Passagier im Eurocity saß, kurz nach dem Unfall der "Rhein-Neckar-Zeitung" aus Heidelberg. "Erst als unser Waggon in Schieflage geraten ist, habe ich gemerkt, dass etwas passiert sein musste." Der 61-Jährige war mit seiner Frau und einem neunjährigen Enkel auf dem Weg von Günzburg nach Trier. "Als unser Wagen dann umstürzte, brach keine Panik aus und es gab auch kein Geschrei. Alle waren starr vor Schock", sagte Geppert. Er habe sofort seine hinter ihm sitzenden Familienangehörigen versorgt, die beide nach der Befreiung durch die Feuerwehr ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Von den neun Waggons des Eurocitys 216, der auf dem Weg von Graz nach Saarbrücken war, entgleisten fünf. Zwei davon kippten um. Bei dem Güterzug, der von Duisburg nach Ungarn fahren sollte, kam unter anderem die Lokomotive von den Schienen ab, zwei Container stürzten auf den Schotter. 35 Menschen mussten ärztlich betreut werden, 14 davon kamen in Krankenhäuser. In Lebensgefahr befand sich keiner der Fahrgäste. "Wir haben richtig Glück gehabt dass niemand gestorben ist", sagt der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bei einem Besuch an der Unfallstelle in Mannheim .

Ein Grund dafür, dass der Unfall so glimpflich ablief, war auch das gedrosselte Tempo der beiden Züge bei der Einfahrt in den Hauptbahnhof. Vielen Passagieren steht am Freitagabend dennoch der Schock ins Gesicht geschrieben. Die Rettungskräfte konnten die Fahrgäste schnell aus den Waggons befreien. Anschließend stehen und sitzen viele von ihnen in der Dunkelheit am Bahnsteig in Mannheim .

Von den medizinischen Betreuern sind die Fahrgäste nach der Schwere ihrer Verletzungen geordnet und versorgt worden. Eine ältere Frau trägt einen Druckverband am Kopf, ein kleiner Junge steht zwischen den Menschen. "Wo ist mein Koffer?", fragt er. "Wird der auch gerettet?" Vielen wird wohl erst später bewusst, wie knapp sie einer Katastrophe entgangen sind.

Für die Bundespolizei ist die Arbeit auch dann noch nicht abgeschlossen, wenn die Gleise von den Unfallwagen befreit sind. Nach wie vor ist völlig unklar, warum der Güterzug den Eurocity seitlich rammte. "Für uns ist es ein Rätsel, wie es zu dem Unfall kommen konnte", sagte der Einsatzleiter der Bundespolizei Udo Görgen. Experten sind am Wochenende auf der Unfallstelle unterwegs, sie sichern Spuren, werten elektronische Daten aus. Eine Sprecherin der Bundespolizei sagt: "Wir sind noch in der Sammelphase."

Auch das niederländische Unternehmen ERS Railways wollte Fachleute nach Mannheim schicken. Die Experten beschäftigt die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass der Güterzug den Eurocity seitlich rammte. Laut Bundespolizei wird geprüft, ob eine Weiche dabei eine Rolle spielte. Die Bahn-Spezialisten überprüften unter anderem den Betriebsablauf, wie eine Sprecherin der Untersuchungsstelle des Bundes berichtete. Außerdem müsse untersucht werden, ob die Signale und die Fahrzeuge richtig funktioniert hätten. "Wir ermitteln in alle Richtungen", hieß es dazu.

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Auf einen BlickZugunglücke ereignen sich auch in Deutschland immer wieder. Obwohl Zugfahren vergleichsweise sicher ist. Beispiele: April 2012: Eine Regionalbahn stößt bei Offenbach (Hessen) mit einem Baukran-Zug zusammen. Drei Menschen werden getötet, 13 verletzt. Januar 2011: Zehn Menschen sterben, als ein Nahverkehrszug bei Oschersleben in Sachsen-Anhalt mit einem Güterzug zusammenstößt. Ein Lokführer hatte zwei Haltesignale überfahren. Juni 2003: Bei Schrozberg in Baden-Württemberg stoßen zwei Regionalzüge zusammen. Sechs Menschen sterben. Februar 2000: In einer Baustelle des Bahnhofs Brühl bei Köln entgleist der Nachtexpress von Amsterdam nach Basel an einer Weiche. Bilanz: Neun Tote, 149 Verletzte. Juni 1998: Nach dem Bruch eines Radreifens prallen im niedersächsischen Eschede mehrere Waggons eines ICE bei Tempo 200 gegen eine Straßenbrücke. 101 Menschen sterben. dpa

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