Schulz rockt den Aschermittwoch

Berlin · Der SPD-Kanzlerkandidat stiehlt Seehofer die Show. Der CSU-Vorsitzende kündigt derweil die größte Steuersenkung der Geschichte an.

Der politische Aschermittwoch sei "das Hochamt der CSU", schreibt Generalsekretär Andreas Scheuer stolz auf der Website für die traditionelle Passauer Kundgebung seiner Partei. Und so funktioniert es auch seit 64 Jahren. Doch diesmal kommt es anders. Bei der SPD im benachbarten Vilshofen hören zum ersten Mal mehr Leute zu als bei den Christsozialen, 5000 dort, 4000 hier. Auch ist dort die Stimmung eindeutig besser. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz rockt den Tag.

Als Schulz in Vilshofen mit seiner Rede fertig ist, wird er mit "Martin, Martin, Martin"-Rufen gefeiert. Er hat gesagt, dass die Deutschen am 24. September einen sozialdemokratischen Bundeskanzler bekommen werden. Die Euphorie unter den Genossen ist groß. Dagegen erntet CSU-Chef Horst Seehofer in Passau neben Beifall auch Pfiffe und sogar Buhrufe, als er zum Schluss ausruft, er kenne niemanden, der Deutschland besser in dieser Zeit führen könne als die gemeinsame Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU). An Derartiges kann man sich von Aschermittwochskundgebungen der CSU praktisch gar nicht erinnern.

Dabei hat Generalsekretär Scheuer alles perfekt vorbereitet: Die Dreiländerhalle ist in schönes, tiefblaues Licht getaucht, es werden flotte Videos eingespielt, aus denen klar wird, dass die CSU nicht nur die beste Partei, sondern Bayern auch das beste Land der Welt ist. Alles ist professioneller als bei der SPD, die in Vilshofen ein Festzelt aufgebaut hat. Bei den Sozialdemokraten geht es dafür heuer irgendwie bayerischer zu, zünftiger. Außerdem hat die SPD einen Stargast aufzubieten, den die CSU nicht hat: Österreichs Kanzler Christian Kern, SPÖ-Genosse. Der hält eine bemerkenswert nachdenkliche Rede über Europa, den neuen Nationalismus und die Abstiegsängste vieler Menschen, stellt sich aber zu Beginn trotzdem in den Schatten: "Ich bin nur die Vorband von Martin Schulz."

Alles dreht sich um den sozialdemokratischen Shootingstar - indirekt auch auf der CSU-Kundgebung. Kaum ein Redner, der ihn dort nicht angreift. Der Europapolitiker Manfred Weber versucht es gleich bei der Eröffnung der Kundgebung mit dem Späßchen: "Die Herausforderer, die Sonnenkönige, kommen und gehen." Aber die Sozialdemokraten seien trotzdem immer wieder in der Opposition gelandet. Gelächter. Verkehrsminister Alexander Dobrindt malt ein rot-rot-grünes "Horrorkabinett" aus Claudia Roth als Verteidigungsministerin, Sahra Wagenknecht für Finanzen und Anton Hofreiter als Verkehrsminister an die Wand. Gelächter. Aber dann spricht er von einer "absoluten Richtungsentscheidung" vor der Deutschland stehe. Und Horst Seehofer, der Hauptredner, erntet Lacher, als er sagt, er begrüße den Gast Schulz zwar wie es sich gehöre in Bayern, sei aber "froh, wenn er das Land wieder verlässt". Auch Seehofer ruft die Bundestagswahl zu einer "Schicksalswahl" aus. "Das Bürgertum muss jetzt aufstehen und kämpfen gegen Rot-Rot-Grün." Die Lage ist also ernst.

Weder bei der SPD noch bei der CSU werden dieses Jahr deftige Büttenreden gehalten. Eher ähneln die Ansprachen schon Wahlkampfkundgebungen. Seehofer verspricht, ganz im Trump-Stil: "Bayern immer zuerst". Und Schulz stellt den Kampf um soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Allerdings ohne sonderlich konkret zu werden. Dafür schildert er umso ausführlicher, dass er aus kleinem Hause komme und "mit dem Bauch" die Lage der kleinen Leute nachfühlen könne. Als gehe es um eine möglichst bescheidene Biografie erzählt auch Seehofer in Passau, dass sein Vater, ein Maurer, im Winter immer arbeitslos war und er deshalb niemals vergesse, woher er komme. Seehofer beginnt so eine Passage, die damit endet, dass er den Deutschen Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen und die Abschaffung des Solidaritätszuschlages nach der Wahl verspricht - "die größte Steuersenkung in der Geschichte".

Für CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer läuft der Tag nicht wirklich gut. Weil die SPD in ihrem Zeitplan etwas schneller ist und Schulz schon kurz vor Zwölf mit seiner Rede beginnt, als in Passau noch Innenminister Joachim Herrmann spricht, übertragen alle die Nachrichtensender erst einmal die Rede des SPD-Mannes zu Ende und Seehofer nur aus der Konserve. Außerdem steht Scheuer blamiert da, weil er auf seiner CSU-Website von "gefühlt 10 000 Besuchern" in Passau spricht. So wie Trump-Beraterin Kellyanne Conway: Alternative Fakten.

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Kanzlerin Merkel lästert über die SPD Keiner kommt an Schulz vorbei? Im knapp 600 Kilometer von Passau entfernten Demmin gelingt es der Kanzlerin zumindest ein bisschen: Nicht ein einziges Mal nennt Angela Merkel beim Aschermittwoch ihres CDU-Heimatverbands den SPD-Herausforderer beim Namen. Die SPD hadere nun schon im vierten Wahlkampf mit der Agenda 2010, lästert Merkel. "Immer im Rückblick, nie sagen können, dass man stolz auf etwas ist, was man geschafft hat." Die CDU kümmere sich dagegen um die Zukunft Deutschlands - "die anderen sollen sich mit der Vergangenheit befassen".

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