Europawahl Mit Zuckerbrot und Pauke

Saarbrücken · Für Manfred Weber ist das Saarland mit seinem europäischen Erfahrungsschatz beispielhaft. Der CSU-Politiker kandidiert am 26. Mai für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten.

  Manfred Weber im SZ-Gespräch im Saarbrücker Hotel am Triller: Der EVP-Kandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten will Europas Grenzen sicher machen.

Manfred Weber im SZ-Gespräch im Saarbrücker Hotel am Triller: Der EVP-Kandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten will Europas Grenzen sicher machen.

Foto: Iris Maria Maurer

Manfred Weber ist im Wahlkampf-Dauerstress. Der Spitzenkandidat der konservativen EVP für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten sprintet im Tagesrhythmus von Ort zu Ort. Zwischen zwei Terminen in Saarbrücken nimmt er sich immerhin ein Viertelstündchen Auszeit. Erst dann erscheint er zum SZ-Gespäch: Gelassenheit ausstrahlend, höflich, verbindlich, wie aus dem Ei gepellt.

Ein Gentleman fürwahr – der fraglos zu schmeicheln versteht. Angesprochen auf Annegret Kramp-Karrenbauers umstrittene Forderung, den Straßburger Standort des EU-Parlaments aufzugeben und nach Brüssel zu verlegen, gerät der CSU-Politiker erst einmal ins Schwärmen über die CDU-Chefin: „Ich freue mich, dass ich mit Annegret jetzt so eng zusammenarbeiten kann. Sie ist eine starke Persönlichkeit.“ Nicht ohne den „saarländischen Erfahrungsschatz mitten in Europa“ zu loben: „Es tut der CDU wirklich gut, eine saarländische proeuropäische Stimme an der Spitze zu haben.“ Was Kramp-Karrenbauers Vorstoß betrifft, will er sich dann doch lieber nicht aus dem Fenster lehnen: „Das Parlament sollte selbst entscheiden, wie es seine Arbeit organisiert und wo seine Tagungen stattfinden. Bisher ist das im EU-Vertrag gegegelt.“

Ein bisschen zu weichgespült? Nun, gelegentlich ist der 46-Jährige, der sich Optimismus zum Leitmotiv erkoren hat, durchaus für einen wohlgesetzten Paukenschlag gut – zumindest dort, wo es seiner Meinung nach nottut. Gerade erst ließ er unmissverständlich wissen, dass er im Fall seiner Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten die Beitrittsgespräche mit der Türkei beendet. „Eine Vollmitgliedschaft in der EU wird es nicht geben.“ Ein deutliches Wort. „Die Menschen sollen wissen, woran sie sind“, erklärt der CSU-Politiker aus dem bayerischen Wildenberg. Erdogan habe sich vom demokratischen Weg und den europäischen Werten verabschiedet. Anstelle einer Mitgliedschaft wolle er Ankara Partnerschaft und Kooperationen auf vielen Gebieten anbieten: Wirtschaft, Sicherheit, Kulturaustausch. „Wir haben als Nachbarn so viele gemeinsame Themen, und da bin ich bereit, die Beziehungen und Zusammenarbeit in vielen Bereichen sogar zu verbessern.“

Und noch eine weitere Bombe ließ der strebsame Wahlkämpfer dieser Tage platzen: Mit ihm werde es einen Stopp der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 geben, die den europäischen Markt mit russischem Erdgas versorgen soll. Das Projekt sei nicht im europäischen Interesse, weil es die Abhängigkeit Europas von Russland fördere, sagte er in Polen. Wie er gewissermaßen die Pferde in vollem Galopp noch aufzuhalten gedenkt, konkretisiert er allerdings nicht. Er verweist jedoch auf eine kürzlich beschlossene Änderung der EU-Gasrichtlinie, nach der Betrieb und Belieferung der Pipelines streng getrennt werden müssen. Derzeit liegt beides in den Händen des russischen Konzerns Gazprom. Webers Versprechen dürfte wie Musik in den Ohren osteuropäischer Mitgliedsländer klingen. Mutmaßlich wird es auch Frankreich gefallen, wo Präsident Emmanuel Macron in dieser Frage mit Kanzlerin Angela Merkel, die das Projekt befürwortet, über Kreuz liegt.

Russland, da wird Weber deutlich, will die EU zerschlagen. Es betreibe eine aggressive Politik, nicht nur in der Ostukraine, sondern auch im Internet, wo Moskau mit der Verbreitung von Fake News und Propaganda gegen die Union vorgehe. Beispiel Frankreich: „Dort ist ja öffentlich bestätigt worden, dass Le Pens europaskeptische Rassemblement National aus russischen Geldtöpfen finanziert worden ist.“ Er wolle nicht, dass europäische Politik durch externe Kräfte gekauft werde. „Die Bürger Europas müssen über ihre Politik entscheiden und nicht Putin“, stellt Weber klar.

Wie aber soll das Verhältnis der EU zu Russland künftig aussehen? Der Kandidat spricht vage von einer „Partnerschaft auf der Grundlage unserer Werte“. Und ergänzt: „Wenn in der Ukraine junge Menschen Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat wollen, dann haben wir als Europäer an ihrer Seite zu stehen, denn das sind unsere Werte.“ An der transatlantischen Freundschaft zu den USA will Weber dagegen nicht rütteln: Sie bestehe insgesamt aus einer gemeinsamen demokratischen Grundeinstellung. Und Trump? „Wenn Trump zu dominant auftritt, müssen wir ihm selbstbewusst klar machen, dass wir das nicht akzeptieren“.

Von Freund und Feind der EU hat Weber ein klares Bild: Zu den destruktiven Kräften zählen für ihn insbesondere die Nationalisten. Sie bekämpfe man zum einen, „indem man die Sorgen der Menschen ernst nimmt“, zum anderen, indem man den Populisten die Maske vom Gesicht reiße. In etwa so: „Wer ernsthaft wie die AfD die Abschaffung des Europäischen Parlaments fordert, der will die Bürger nicht beteiligen“, stellt Weber klar. Soll heißen: Demokratie ist von der AfD offensichtlich nicht gewollt. Die europaskeptische, teilweise rechtsextreme Partei sei „ein echter politischer Gegner“.

Bei der EU schaltet Weber erwartbar auf das „Wir“: Kräfte bündeln, mit einer Stimme sprechen, geschlossen und selbstbewusst auftreten. Doch reicht das, um die Mitgliedstaaten bei der Stange zu halten? Oder steht der EU nach dem Brexit bald noch ein weiterer Exit ins Haus? Weber setzt auf das Brexit-Chaos als abschreckendes Beispiel: „Daran zeigt sich, wie unglücklich es ist, die EU infrage zu stellen. Die Briten spüren jetzt schon, dass sie enorme Nachteile erleiden.“ Sieht er noch Chancen für einen Exit vom Brexit? „Die Tür steht immer offen, aber niemand wird gezwungen, Mitglied zu sein, es ist eine Einladung.“ Wenn Parlament und Regierung nicht in der Lage seien, eine Lösung zu finden, wäre es eigentlich nur folgerichtig, ein zweites Referendum einzuleiten, findet er. Dass ein Land, das die EU verlassen will, aber über deren Zukunftsgestaltung mitbestimmen soll, findet er kaum vermittelbar. „Ich hoffe, dass die britische Politik noch vor der Wahl am 26. Mai eine Lösung findet.“

Gegen die EU-Müdigkeit wirbt Weber mit dem Unions-Slogan „Wohlstand und Sicherheit“. Wohlstand meint in seinen Augen Schaffung von Arbeitsplätzen – vor allem durch Förderung der Wirtschaft und den Strukturwandel. Gerade das Saarland, so lobt er, sei mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze und Forschungskapazitäten in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit (Helmholtz-Institut) beispielhaft in der EU.

Beim Thema Sicherheit sieht der EVP-Kandidat Europa unter Druck. „Die Menschen erwarten, dass an den EU-Außengrenzen schnell Erfolge erzielt werden“, stellt er fest. Deshalb müsse der Ausbau von Frontex von 2000 auf 10 000 Einsatzkräfte spätestens 2022 statt wie geplant 2027 realisiert sein. Wie er den Ausbau zu beschleunigen gedenkt, darüber hält er sich indes bedeckt.

Ferner schweben ihm in Sicherheitsfragen der Aufbau eines europäischen FBI, einer Polizei, die eigene Ermittlungskompetenzen hat, und ein verpflichtender Datenaustausch vor – um den Kampf gegen Kriminalität und Terror aufzunehmen. Afrika sieht Weber als ein Hauptanliegen Europas, das weltpolitisch immer weiter ins Zentrum rücke, auch weil sich die USA als Ordnungsmacht zurückzögen. „Als Kommissionspräsident werde ich einen eigenen Kommissar für Afrika und dessen Belange bestimmen“, verspricht der EVP-Vorsitzende.

Vor Herausforderungen stehe die EU auch hinsichtlich einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. An erster Stelle steht da für Weber der Aufbau einer europäischen „Cyberabwehrbrigade“, um das europäische Internet gegenüber staatlichen Angriffen abzusichern. Nicht zuletzt werde die Union auch um eine gemeinsame Eingreiftruppe nicht herumkommen, um effektiv gegen den Terror vorzugehen.

Bei solch ambitionierten Versprechungen stellt sich die Frage nach der Machbarkeit. Da wird es für Weber dicke Bretter zu bohren geben. Wie eisenhart die sein können, da­rin hat der noch amtierende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der sich etwa bei der Flüchtlingsquote vergeblich die Zähne ausbiss, bereits reichlich Erfahrung gesammelt.

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