Der irische Premier Leo Varadkar Ein Hoffnungsträger im Brexit-Chaos

London · Der irische Premier Leo Varadkar ist in den Verhandlungen zur Schlüsselfigur geworden.

  Sein Land hat bei einem Bexit ohne Abkommen mehr zu verlieren als jeder andere Staat in der EU: Irlands Premier Leo Varadkar .

Sein Land hat bei einem Bexit ohne Abkommen mehr zu verlieren als jeder andere Staat in der EU: Irlands Premier Leo Varadkar .

Foto: dpa/Peter Byrne

Als Leo Varadkar zum ersten Mal in der Downing Street Nummer zehn zu Besuch war, konnte er seinen Enthusiasmus kaum verbergen. Zu sehr erinnerte ihn das Gebäude an die berühmte Szene aus der Weihnachtskomödie „Tatsächlich Liebe“, in der Hugh Grant die Treppe heruntertanzt. Nun also wurde Varadkar selbst und ganz offiziell in der Machtzentrale des Königreichs empfangen. Das war im Juni 2017.

Kurz zuvor wurde der 38-jährige Chef der irischen konservativen Fine-Gael-Partei vom Parlament zum bisher jüngsten Premierminister Irlands gewählt. Und natürlich führte der erste Trip zum Nachbarn ins Königreich, dem engsten Partner der Republik. Während Varad­kar bei der Pressekonferenz wie ein Fan von seiner Begeisterung über den Ort erzählte, stand die damalige Premierministerin Theresa May beinahe berührt lächelnd neben ihm. Sie ist mittlerweile Geschichte, der mittlerweile 40 Jahre alte Varadkar dagegen hat sich zur Schlüsselfigur in den Brexit-Verhandlungen entwickelt.

Nachdem die Gespräche zwischen der EU und Großbritannien kurz vor dem Austrittstermin am 31. Oktober schon als gescheitert betrachtet wurden, nährte ein Treffen zwischen Varadkar und seinem britischen Counterpart Boris Johnson in der vergangenen Woche noch einmal Optimismus. Ein Kompromiss sei in greifbarer Nähe, befand der Ire. Nun ist es zwar noch nicht ganz so weit, aber sollte es eine Lösung im Streit geben, führt diese über Leo Varadkar. Denn es ist die Republik Irland, die bei einem ungeordneten Brexit ohne Abkommen mehr zu verlieren hat als jeder andere Staat in der EU. Die beiden Nachbarländer sind wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich eng verflochten. Hinzu kommt, dass Irland eine Landgrenze mit dem Königreich teilt. Die Erinnerungen an die schlimmen Zeiten, als der Nordirlandkonflikt jahrzehntelang die Region mit Gewalt und Terror überzog, sind zwar verblasst, aber längst nicht vergessen, geschweige denn die Taten verziehen. Eine befestigte Grenze soll unbedingt vermieden werden. Mittlerweile geht jedoch die Angst in der irischen Regierung um, dass die EU aus Ungeduld oder Frustration in letzter Minute auf die Forderungen Großbritanniens eingehen könnte, was dann insbesondere Irland vor Schwierigkeiten stellt. Umso mehr steht Varadkar unter enormen Druck, eine Einigung zu finden. Bislang scheint er ihm standzuhalten.

Die Popularitätswerte des Sohns eines indischen Vaters und einer irischen Mutter, der in einem Vorort von Dublin aufgewachsen ist, steigen seit Monaten. So zeigen sich nach einer jüngsten Umfrage mehr als die Hälfte aller Wähler zufrieden mit dem Taoiseach, so der irischsprachige Titel des Regierungschefs. Das liegt vor allem am Bre­xit-Drama beim Nachbarn. Varadkar nämlich wird selbst von Landsleuten, die seinen Mitte-Rechts-Kurs, eine Mischung aus sozialem Fortschritt und unternehmerfreundlichen Neoliberalismus, unterstützen, als langweilig und unentschlossen bezeichnet. Die Politik seiner Vorgänger, mit Steuerabsprachen große Konzerne auf die Insel zu locken, verfolgt er ebenfalls. Gleichwohl sehen ihn etliche Menschen oft als Gesicht für das moderne Irland. Varadkar ist der erste offen schwule Premier in einem ehemals erzkatholischen Land, wo Homosexualität noch 1993 unter Strafe stand. Im Jahr 2015 stellte Irland nach einem Referendum die gleichgeschlechtliche Ehe jener zwischen Mann und Frau gleich. Der damalige Gesundheitsminister Varadkar nannte das Ergebnis eine „soziale Revolution“. Zwar mischte er sich kaum in die Kampagne vor dem Referendum ein, doch sein Coming-Out wenige Monate vor der Abstimmung hatte für viele Vorbildcharakter.

Varadkar, der vor seinem Wechsel in die Politik als Arzt in einem Krankenhaus gearbeitet hat, hält sich mit seinem Privatleben aber sonst zurück, gilt vielmehr als „Streber“, der eher über Inhalten brütet als im Pub bei einem Pint Guinness weilt. Für die EU27 dürften das im Endspurt der Brexit-Verhandlungen gute Nachrichten sein.

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