Liberaldemokratin Jo Swinson Die kriselnde Hoffnung der Brexit-Gegner

London · Es war ein vernichtendes Zeugnis, das die Wähler Jo Swinson in Umfragen ausgestellt haben. Je mehr die Menschen von der Vorsitzenden der Liberaldemokraten sehen, so kam kürzlich heraus, desto weniger Gefallen finden sie an der 39-Jährigen. Dabei galt Swinson noch vor wenigen Monaten durch ihre direkte und ehrliche Art als äußerst populär.

 Jo Swinson, 39 Jahre alt, steht seit dem Sommer an der Spitze der Liberaldemokraten auf der Insel.

Jo Swinson, 39 Jahre alt, steht seit dem Sommer an der Spitze der Liberaldemokraten auf der Insel.

Foto: AP/Matt Frost

Sie war die Hoffnung der Brexit-Gegner im krisengebeutelten Königreich. Doch dann begannen die Fehler – und sie sollten nicht aufhören.

Zunächst kündigten die Liberaldemokraten in einem Kurswechsel an, den Brexit ohne erneutes Referendum schlichtweg abblasen zu wollen, indem sie den Ausstiegsantrag in Brüssel zurückziehen würden. Das sei „undemokratisch“ und eine „zu extreme Position“, prasselte von allen Seiten Kritik auf Swinson ein, selbst von Pro-Europäern. Kurz darauf wollte die gebürtige Schottin, die Management an der London School of Economics studiert und später als Marketing- und PR-Managerin gearbeitet hat, mit rechtlichen Mitteln ihre Teilnahme an der ersten TV-Debatte zwischen Premierminister Boris Johnson und Labour-Chef Jeremy Corbyn erzwingen. Swinson sprach von Frauenfeindlichkeit und Sexismus als Gründe dafür, dass sie nicht eingeladen wurde. Am Ende wurde ihre Klage zurückgewiesen. Der Aufstand hat ihrem Ruf alles andere als geholfen.

Aber der Schritt passt zu Swinson, der es an Selbstbewusstsein keineswegs fehlt. „Wenn ich mir Boris Johnson und Jeremy Corbyn anschaue, dann bin ich absolut sicher, dass ich einen besseren Job als Premierministerin machen könnte“, sagte sie etwa bei der Vorstellung des eigenen Parteiprogramms. Die Reaktionen fielen mehrheitlich negativ aus. Denn es ist praktisch ausgeschlossen im britischen Wahlsystem, dass die Liberaldemokraten, traditionell eine Protestpartei für viele Wähler, in naher Zukunft den Regierungschef stellen. 2017 haben es zwölf Parteimitglieder ins Parlament geschafft – insgesamt gibt es 650 Sitze. Wegen der Brexit-Streitereien sind zwar einige Konservative und Labour-Abgeordnete übergelaufen. Trotzdem stellten die Lib-Dems zuletzt nur 21 Parlamentarier.

Joanne Kate Swinson, die bereits mit 17 in die Partei eintrat und seit Sommer als erste Frau an deren Spitze steht, vertritt seit 2005 den schottischen Wahlkreis East Dunbarton­shire im Unterhaus. Damals trug sie den Titel „Baby of the House“, weil sie die jüngste Abgeordnete war. Aufsehen erregte sie auch 2018, als die Hobby-Marathonläuferin erstmals in der langen Geschichte des Unterhauses ihren zweieinhalb Monate alten Sohn Gabriel ins Parlament mitbrachte. Mit ihrem Ehemann Duncan Hames, Chef von Transparency International UK, hat sie zwei Kinder.

Die Brexit-Pläne der Tories lehnt die überzeugte Europäerin und Klimaschützerin ab. Doch auch auf die Labour-Partei und Jeremy Corbyn schimpft die Britin, die als wirtschaftsfreundlich gilt und eher im liberal-konservativen Flügel verortet wird. Denn im pro-europäischen Lager herrscht Konkurrenz. Labour, die Grünen und Swinsons Liberale kämpfen um die Stimmen der Brexit-Gegner. In Schottland und Wales kommen die regionalen Parteien hinzu. Die Zersplitterung könnte die Liberaldemokraten bei der Wahl am 12. Dezember etliche Mandate kosten. Sie wolle tun, „was auch immer nötig ist, um den Brexit zu stoppen“, verspricht Swinson. Es klingt mittlerweile wenig glaubhaft. Denn auf einen Pakt mit Labour, um ein taktisches Wählen zu ermöglichen, wollte sich Swinson nicht einlassen. Das nehmen ihr etliche Brexit-Gegner übel. Derzeit sieht es nämlich danach aus, als sei dies der einzig verbliebene Weg, den Austritt Großbritanniens noch zu verhindern.

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