15 Jahre Osterweiterung Ein EU-Jubiläum zwischen Erfolgsgeschichten und Sorgenfalten

Brüssel · Während die Berliner Balkan-Konferenz mit den nächsten EU-Beitrittswilligen befasst ist, fällt die Bilanz der Osterweiterung vor 15 Jahren durchwachsen aus.

Für deutsche Wirtschaftsvertreter ist die Sache eindeutig: Die EU-Erweiterung zum 1. Mai 2004 war und ist eine riesengroße Erfolgsgeschichte. Mit der Aufnahme von zehn Staaten aus dem Osten und Süden Europas wuchs die Gemeinschaft damals mit einem Schlag um etwa 75 Millionen Menschen. Hinzu kamen: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern. Ein anhaltender Wirtschaftsboom folgte – vor allem in den mittelosteuropäischen Beitrittsländern.

In einigen Ländern verdoppelte sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP), die Arbeitslosigkeit sank erheblich. In Polen etwa betrug sie 2004 dem Statistikamt Eurostat zufolge 19,1 Prozent, 2018 lag sie bei nur noch 3,9 Prozent, in der Slowakei sank sie im selben Zeitraum von 18,4 auf 6,5 Prozent.

Die Erweiterung vor 15 Jahren sei „ein historischer Meilenstein auf dem Weg von einem geteilten Kontinent zum größten gemeinsamen Binnenmarkt der Welt“, gewesen, kommentiert Ute Kochlowski-Kadjaia, Geschäftsführerin des Ost-Ausschusses-Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, sagt: „Gerade in Mittel- und Osteuropa wird der Beweis geführt, dass die EU ein einzigartiges Netzwerk zum gegenseitigen Vorteil ist.“

In der Politik ist die Stimmung allerdings nicht überall so gut. Polen etwa gilt nach dem Rechtsruck unter der seit 2015 regierenden PiS-Regierung in Brüssel als Sorgenkind. Kritiker sehen unter anderem durch Justizreformen EU-Grundwerte bedroht. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wird vorgeworfen, als eine Art gewählter Alleinherrscher den Rechtsstaat und die Medienfreiheit zu demontieren. Die EU-Kommission und das Europaparlament haben mittlerweile gegen beide Länder Strafverfahren auf den Weg gebracht. Ein Austrittswunsch der Länder nach dem Vorbild Großbritanniens gilt jedoch als unwahrscheinlich. Denn wie in vielen neuen Mitgliedstaaten hat die EU als solche bei den Bürgern hohe Zustimmungswerte.

Auch in Tschechien hadert man mit einer stärkeren europäischen Integration. Als „völlig außerhalb der Realität“ bezeichnete Ministerpräsident Andrej Babis die jüngsten EU-Reformforderungen des französischen Präsidenten. Auch an der eigenen Währung Krone hält man in Prag fest. Als einer der Musterknaben der EU gilt hingegen die Slowakei. Sie galt bis kurz vor dem EU-Beitritt unter dem rechtspopulistischen Regierungschef Vladimir Meciar als das politische Schmuddelkind der Kandidatenländer. Als die EU ebenso wie zuvor die Nato drohte, Bratislava den gleichzeitigen Beitritt mit den Nachbarländern Tschechien, Polen und Ungarn zu verweigern, fegten die europabegeisterten Slowaken in einer denkwürdigen Parlamentswahl ihren Staatsgründer aus dem Amt. In ihrem ungebremsten Beitrittsschwung überholten sie dann schon 2009 ihre drei Ex-Vorreiter und traten der Eurozone bei.

EU-Veteran Jean-Claude Juncker will trotz der vielen ungelösten Probleme und der neuen Schwierigkeiten keinen der Staaten aus dem EU-Jahrgang 2004 missen. „Ich bin immer noch ein großer Fan der Erweiterung“, sagt der EU-Kommissionschef und langjährige luxemburgische Premierminister im Interview mit Medien aus Tschechien, Ungarn, Polen und der Slowakei. „Ich habe nicht eine einzige Sekunde bereut, dass wir die zehn Länder zurück ins Herz Europas gebracht haben, da ich immer der Meinung war, dass das ein großer Moment in der Geschichte war.“ Europas Geografie und Geschichte seien mit der Erweiterungsrunde versöhnt worden.

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