Wenn Bäume Wunder vollbringen

Freiburg/Göttingen · Baumriesen können im Lauf der Jahrhunderte nahezu alles umwachsen, was sich ihnen in den Weg stellt. Im Schwarzwald hat eine 300 Jahre alte Buche eine Christusfigur „umarmt“. Der „Balzer Herrgott“ gilt vielen als einzigartig.

"So ein besonderer Baum ist mir an keinem anderen Ort bekannt", schwärmt Olaf Willenbrock aus Göttingen von dem Schwarzwälder Baumwunder "Balzer Herrgott". Die Kalksandsteinfigur eines Christus am Stamm einer rund 300 Jahre alten Buche stammt vermutlich aus spätgotischer Zeit und wurde von dem Baumriesen so umwachsen, dass inzwischen nur noch der Kopf zu sehen ist.

Willenbrock ist Spezialist für Geo-Informationssysteme und fotografiert seit vielen Jahren derlei "Umwallungen", wie er das Verwachsen der Baumriesen mit Gegenständen bezeichnet. Auf seiner Internetseite hat er einen Fundus an Bildern angelegt, die dokumentieren, wie die mächtigen Bäume sich Dinge geradezu einverleiben.

Zu sehen sind Buchen, die Schilder und Zäune umschlungen haben, oder eine Schwarzwaldtanne mit einer Fahrrad-Felge im Stamm. "Es gibt auch noch weitere eingewachsene Heilige wie etwa ein Marien-Bild im nordrheinwestfälischen Kreis Borken oder das ,Bullauer Bild' in Hessen", erzählt Willenbrock. Der "Balzer Herrgott" zwischen Wildgutach und Gütenbach, rund 25 Kilometer nordöstlich von Freiburg, aber sei einzigartig.

"In den meisten Fällen kommen die Bäume recht gut mit derartigen Fremdkörpern zurecht, da sie über einen wirkungsvollen Schutzmechanismus verfügen", sagt der Experte. Die Dimension der Verwachsungen ist recht unterschiedlich: Junge und vitale Bäume wachsen relativ schnell in die Breite, so dass schon nach wenigen Jahren deutliche Veränderungen an den betroffenen Stellen zu sehen sind. Im Gegensatz dazu wachsen ältere Bäume nicht mehr so stark, so dass sich die Verwachsungen kaum vergrößern.

Die Weidbuche bei Wildgutach ist vermutlich zwischen 200 und 300 Jahre alt. Zwischen 1870 und 1880 soll der Torso des "Balzer Herrgotts" am Baum befestigt worden sein. Die Herkunft des Namens ist nicht eindeutig, er könnte auf einen einstigen Balzplatz der Auerhähne nahe der Buche zurückgehen. Historische Fotos zeigen, dass die Figur 1927 von den Lenden an noch frei war, seit 1955 waren diese durch die nachwachsende Rinde verhüllt, seit 1975 ist sie bis unter die Brust überwallt. 1986 waren nur noch der Kopf und ein Stück der Brust zu sehen, bis ein Schnitzer 1986 Kopf und Brust wieder freilegte. Zwei Baumspezialisten von der Insel Mainau versiegelten das freigelegte Holz gegen Pilze und Feuchtigkeit und schufen eine künstliche Rinde. 1995 war die Umwallung so weit fortgeschritten, dass der Kopf abzubrechen drohte.

Viele Sagen und Legenden ranken sich um die Figur: Hugenotten hätten sie auf der Flucht aus Frankreich an dem steilen Hang liegengelassen, heißt es - oder Royalisten, die während der Französischen Revolution aus Frankreich gekommen seien. Wahrscheinlicher ist aber die mündliche Überlieferung, die im Gütenbacher Dorfmuseum nachzulesen ist: Danach stammt die Figur von einem Hofkreuz. Der Hof selbst wurde im Februar 1844 durch eine Lawine zerstört, wobei Arme und Beine der Figur abgebrochen sein müssen. Junge Männer hätten den Torso heimlich in den Wald gebracht. Lange habe er in der Nähe der Buche auf dem Waldboden gelegen, bis ihn zwei Uhrmachergesellen an dem Baum befestigten.

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