Mit einem Dampfer zurück zu altem Glanz

Seit dem EU-Referendum werden in Großbritannien die „guten alten Zeiten“ beschworen. Erinnerungen an die stillgelegte Royal Yacht Britannia werden wachgerufen. Abgeordnete wollen jetzt ein neues Schiff.

London. Als vor knapp 20 Jahren Königin Elizabeth II. in rotem Mantel und farblich passendem Hut am Kai stand und ihr schwimmendes Wohnmobil verabschiedete, flossen Tränen. Zum ersten Mal zeigte die Monarchin in der Öffentlichkeit so viel Gefühl, und die ungewohnte Emotionalität brach etlichen Briten fast das Herz. Es war rührend. Die königliche Yacht "Britannia", berühmt und legendär, wurde ausgemustert, obwohl es doch das liebste Fortbewegungsmittel der Queen war. Seit der Taufe 1953 stellte der Dampfer ihr "home away from home" dar, ihr Zuhause weg vom Zuhause.

Was haben die Royals nicht für gute Zeiten auf dem Schiff erlebt: Etliche Fotos zeugen von der Ausgelassenheit des Staatsoberhaupts im Privaten mit ihren Kindern und Enkeln, beim Lesen, Sonnen und Arbeiten, oft in Hosen statt im förmlichen Kleid. Die Bilder zeigen auch repräsentative Treffen mit Würdenträgern und Staatsoberhäuptern, die vom Juwel des Königreichs herab winkten und sich auch ein bisschen königlich fühlen durften, bevor es ums Geschäftliche ging.

Doch dann kam Tony Blair an die Macht, und der damalige Premierminister befand, die Yacht sei zu teuer. Aus Kostengründen wurde sie 1997 im Hafen von Edinburgh eingemottet, wo nun wohlhabende Menschen die Räume für Empfänge mieten und Touristen einen Blick in die majestätischen Gemächer werfen können. Das Thema jedenfalls schien beendet. Bis zum Brexit-Votum vor knapp vier Monaten. Dass sich die Mehrheit der Briten für den Ausstieg aus der EU entschieden haben, hat dafür gesorgt, dass die Nostalgiker unter den Briten - und davon gibt es traditionell reichlich viele - plötzlich öffentlichkeitswirksam die "guten alten Zeiten" beschwören. Wehmütig blicken sie in die Vergangenheit und sehen hinter der Pracht des Empires natürlich auch die stolze "Britannia" vor ihrem rückwärtsgewandten Auge schwimmen. In nicht allzu ferner Zeit, so die Hoffnung einiger Brexit-Fans, würde das Land endlich wieder zu seiner alten Stärke als Meeresnation und Handelsmacht finden - ohne als "Sklave der EU" der "Tyrannei aus Brüssel" ausgesetzt zu sein.

Mit dem Dampfer als Symbol zurück zu Glanz und Gloria für das große Britannien, so könnte man den Schlachtruf zusammenfassen, den einige konservative Abgeordnete seit Wochen ausrufen. Manche wünschen, dass das trockengelegte Schiff der Royals wieder ihren Dienst aufnimmt. Oder aber, so der favorisierte, weil kostengünstigere Alternativvorschlag, die alte Britannia soll durch eine neue ersetzt werden. "Wir müssen uns fragen, in was für einem Britannien wir leben wollen und was wir tun können, um Britannien wieder groß zu machen", sagte der Parlamentarier Jake Berry kürzlich im Unterhaus. Er gab sich die Antwort auf seine Frage selbst: "Wenn Brexit bedeutet, dass es ein erfolgreicher Brexit werden wird, dann sollte das auch heißen, dass unsere königliche Yacht zurückkehrt." Rund 100 Kollegen aus den Tory-Reihen murmelten ihre Zustimmung. Gleichzeitig biete solch ein repräsentatives Schiff einen guten Ort für wichtige Handelsabschlüsse mit der Welt. Und solche Abkommen zu erzielen, so betont man, sei ja nun oberstes Ziel. Nun könnte man meinen, dass die Insel angesichts des bevorstehenden Austritts aus der EU ganz andere Probleme hat als die Diskussion um ein ausgemustertes Schiff. Zudem dürfte man vermuten, dass es die Forderung einiger konservativer Abgeordneten nicht einmal in die Schlagzeilen schaffen würde, wenn nicht, jawohl, sogar Außenminister Boris Johnson und Liam Fox , Minister für internationalen Handel, unaufhörlich mit der Idee flirten würden. Der Chefdiplomat des Königreichs habe es "mit Bedauern" vernommen, dass der Bau einer neuen "Britannia" für Premierministerin Theresa May "keine Priorität darstelle", wie Johnson in der vergangenen Woche sagte.

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