Europäer greifen in der Krise seltener zu Kokain

Lissabon. Große Überraschung an der Drogenfront: Nach einem knapp zwei Jahrzehnte anhaltenden "Kokain-Boom" ist die Zahl der koksenden Europäer im vergangenen Jahr plötzlich wieder zum Teil stark zurückgegangen

 Die frühere Modedroge Kokain wird in Europa immer seltener konsumiert. Foto: Pleul/dpa

Die frühere Modedroge Kokain wird in Europa immer seltener konsumiert. Foto: Pleul/dpa

Lissabon. Große Überraschung an der Drogenfront: Nach einem knapp zwei Jahrzehnte anhaltenden "Kokain-Boom" ist die Zahl der koksenden Europäer im vergangenen Jahr plötzlich wieder zum Teil stark zurückgegangen. "Das ist für mich eines der überraschendsten Ergebnisse unserer jüngsten Ermittlungen", sagt Wolfgang Götz, Direktor der Drogenbeobachtungsstelle der Europäischen Union (EBDD), in Lissabon.Experten meinen, die Schuldenkrise in Europa habe hier, neben anderen Faktoren, offenbar etwas Positives bewirkt. "Aufgrund der finanziellen Kosten des Kokainkonsums sinkt die Attraktivität der Droge möglicherweise in Ländern, in denen jetzt Sparsamkeit gefragt ist", heißt es im EBDD-Jahresbericht. Götz ist sich da nicht so sicher: "Wir wissen, dass die Leute weniger Geld in der Tasche haben. Heißt es, dass weniger Drogen konsumiert werden? Oder wird es zur Finanzierung des Konsums mehr Prostitution und Delikte geben? Sehr schwer zu sagen."

Der Glanz der einstigen Schicki-Micki-Droge war in den vergangenen Jahren stark verblasst. Das Euphorie auslösende Rauschgift wandelte sich von der Party- zur Straßendroge. In nur einem Jahrzehnt wurde es laut EBDD zur am häufigsten konsumierten Stimulanz Europas. Nun können sich viele der "Neu-Konsumenten" Kokain wohl nicht mehr leisten. In der EU liegt der durchschnittliche Verkaufspreis immerhin bei 50 bis 80 Euro pro Gramm.

"Wir haben fünf Länder in Europa, in denen der Konsum relativ hoch ist und ungefähr auf dem Niveau der USA liegt. Das sind Spanien, Italien, das Vereinigte Königreich, Dänemark und Irland. In vier dieser Länder, alle außer Irland, wo die Erhebungen erst jetzt laufen, geht der Konsum zurück. Könnte sein, dass diese Kokainblase geplatzt ist", erklärte Götz. In Großbritannien hatte sich der Kokainkonsum allein zwischen 1994 und 2009 mehr als versechsfacht. Nach EBDD-Zahlen hatten mehr als sechs Prozent aller Briten im Alter zwischen 15 und 34 Jahren Kokain konsumiert. Im vergangenen Jahr fiel dieser Wert auf unter fünf Prozent. Bei Schuldensünder Spanien gab diese Zahl von 5,5 auf unter 4,5 Prozent nach. In Deutschland, wo der Konsumentenanteil zwischen 1990 und 2009 von 0,4 auf rund 1,9 Prozent angestiegen war, gibt es noch keine Zahlen für 2010.

Die Gesamtmenge des in Europa sichergestellten Kokains halbierte sich nach dem Rekordjahr 2006 schon bis 2009 auf 49 Tonnen. Kokain und auch andere Drogen wie Cannabis werden zwar unterdessen zunehmend durch synthetische Substanzen abgelöst. Dennoch versichert Götz, dass die zunehmende Kooperation innerhalb der EU Früchte trägt: "Der Austausch von Informationen und gemeinsame Interventionen (. . .) machen sich zunehmend bemerkbar." Aufgrund der Krise würden die Mittel unter anderem in den Sektoren der Forschung, der Gesundheit sowie Soziales sicher knapper werden. Der Freiburger sieht die Euro-Malaise aber auch als Chance: "Man wird jetzt gezwungen, sich auf jene Dinge zu konzentrieren, die wirklich funktionieren", sagt er optimistisch.

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