Die Gier nach Konsum

Berlin. Sie kaufen, nur um zu kaufen. Kleider, Schuhe, wieder Kleider, wieder Schuhe und allerlei anderen Kram — lauter Dinge, für die sie eigentlich gar keinen Bedarf haben. Die Beute liegt unbenutzt im Schrank, auf dem Speicher oder landet im Mülleimer. Die Käufer sind kaufsüchtig. 800000 Menschen in Deutschland leiden laut Techniker Krankenkasse an zwanghafter Shoppingsucht

Berlin. Sie kaufen, nur um zu kaufen. Kleider, Schuhe, wieder Kleider, wieder Schuhe und allerlei anderen Kram — lauter Dinge, für die sie eigentlich gar keinen Bedarf haben. Die Beute liegt unbenutzt im Schrank, auf dem Speicher oder landet im Mülleimer. Die Käufer sind kaufsüchtig. 800000 Menschen in Deutschland leiden laut Techniker Krankenkasse an zwanghafter Shoppingsucht. Der Ludwigshafener Psychologen Gerhard Raab hat herausgefunden, dass "immer mehr Menschen die Kontrolle über ihre Konsumausgaben und ihr Kaufverhalten verlieren". Sieben Prozent seien gefährdet. Auch Sieglinde Zimmer-Fiene wurde jahrelang von der Kaufgier getrieben. Heute ist sie "trocken", leitet eine Selbsthilfegruppe in Hannover und ein Internetportal (unter www.kaufsuchthilfe.de)."Kaufen löst so ein unglaubliches Glücksgefühl aus", erzählt sie. "Meine Streicheleinheiten holte ich mir von den Verkäufern in den Kaufhäusern, Geschäften und Boutiquen." Doch diese "innere Leere" werde nur kurz befriedigt. "Dann geht es wieder von vorne los." Der Zwang zum unkontrollierten Kaufen, die sogenannte Oniomanie, ist eine psychische Erkrankung, sagt Psychologe Raab. Das pathologische Kaufverhalten sei ein Ersatz für Anerkennung, für fehlende Liebe, ein Füllen von innerer Leere, ein Trostpflaster oder ein Partnerersatz. Der Betroffene verspüre einen unwiderstehlichen Drang, einkaufen zu müssen. Werde er daran gehindert, bekomme er Herzrasen, Schweißausbrüche und innere Unruhe — vergleichbar mit einem Alkoholiker auf Entzug. Bei vielen Kaufsüchtigen diagnostizierten Ärzte obendrein Depressionen und Essstörungen, erklärt Raab. Frauen seien von dem Phänomen stärker betroffen als Männer. Gerhard Raab betont zugleich: "Ein gelegentlicher Frustkauf hat aber noch lange nichts mit Kaufsucht zu tun." Eine besondere Gefahr für Kaufsüchtige sieht Psychologe Raab im Internet: "Je abstrakter die Zahlungsmethode und die Verkaufssituation, desto schwieriger fällt es ihnen, die Kontrolle zu wahren." Eine Studie über das Einkaufsverhalten im Online-Aktionshaus Ebay habe dies gezeigt. Ursache für die ungezügelte Kaufgier sei "die Überbetonung des Konsums als Sinnstifter in einer Familie und der Gesellschaft", erklärt Raab. Ein von ihm beantragtes Forschungsprojekt soll nun die neurologischen Grundlagen dieser Sucht untersuchen. Ulrike Fieback von der Techniker Krankenkasse warnt, die Sucht zerstöre die Existenz ganzer Familien durch Überschuldung, Insolvenz und Abrutschen in die Kriminalität. "Die Folge ist oft der psychische Zusammenbruch", so Fieback. Als Erste-Hilfe-Maßnahmen gibt Fieback Betroffenen folgende Tipps: alle Kreditkarten zurückgeben und immer mit Bargeld zahlen, den Garderobenbestand und das Wohnungsinventar auflisten und diese Liste immer bei sich tragen. Vor allem aber: "Eine Psychotherapie kann den Betroffenen frühzeitig helfen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort