250 Euro Bußgeld für obszöne Anmache

Brüssel. Sofie Peeters hat ein ganzes Land aufgerüttelt. Als die 24-jährige Studentin vor wenigen Monaten ihre Abschlussarbeit als Regisseurin veröffentlichte, ging ein Aufschrei durch Belgien: Peeters hatte mit versteckter Kamera die Belästigungen eingefangen, denen Frauen auf offener Straße in Brüssel ausgesetzt sind

Brüssel. Sofie Peeters hat ein ganzes Land aufgerüttelt. Als die 24-jährige Studentin vor wenigen Monaten ihre Abschlussarbeit als Regisseurin veröffentlichte, ging ein Aufschrei durch Belgien: Peeters hatte mit versteckter Kamera die Belästigungen eingefangen, denen Frauen auf offener Straße in Brüssel ausgesetzt sind.Im Sommerkleid mit flachen Stiefeln geht sie durch die Gemeinde Annessens, ein Mann kommt hinzu und fragt sie unverblümt, ob er sie zu einem Kaffee nach Hause einladen dürfe. Man könne aber auch gleich im Hotel um die Ecke ins Bett gehen. Als die Studentin deutlich sagt, er solle sie in Ruhe lassen, ruft er ihr "Schlampe" hinterher. Wenig später muss sie sich der Avancen eines älteren Mannes erwehren, der sie daraufhin "Hure" schimpft. Aus einem Café ruft ein Gast ihr "geile Hündin" nach.

Ihr Film "Femme de la Rue" (Frauen auf der Straße) wird ein Schock für das ganze Land. Die belgische Stadtverwaltung reagierte umgehend und stellte per Verordnung die anzügliche Anmache in der Öffentlichkeit unter Strafe. Stadtrat Philippe Close sagt offen: "Wenn die Erziehung der Leute versagt, ist es an uns zu zeigen, dass die Gesellschaft so ein Verhalten nicht toleriert." Seit dem 1. September wird die obszöne Belästigung mit Strafbefehlen und Bußgeld zwischen 75 und 250 Euro bestraft - vorausgesetzt die Tat kann durch Zeugenaussagen oder Aufzeichnung der öffentlichen Überwachungskameras belegt werden. Die Regelung gilt seit einem Monat: Gestern stellte sich heraus, dass es bereits 69 Fälle von verbalen Attacken gab, in denen Sanktionen ausgesprochen wurden. Die Übergriffe richteten sich gegen Frauen und Homosexuelle.

"Am Anfang habe ich gedacht, mit mir stimmt etwas nicht und ich bin vielleicht schuld", erzählt Sofie Peeters. Doch in ihrem Film sprechen auch andere Betroffene. Eine der gezeigten Frauen schildert, dass sie sich umziehe und keinen Rock mehr trage, wenn sie auf die Straße gehe. Andere vermeiden es grundsätzlich, zu Fuß unterwegs zu sein oder gar Augenkontakt zu Männern aufzunehmen.

Zunächst warf man Peeters vor, sie habe ein "rassistisches Machwerk" vorgelegt, weil ihre Heimatgemeinde Annessens als typisches Brüsseler Arbeiterviertel gilt und überwiegend von Immigranten bewohnt wird. Doch die angehende Regisseurin betont, dass sie lediglich dokumentierte, was sie erlebte.

Brüssel ist kein Einzelfall

Dass dies kein Einzelfall ist, zeigen die Reaktionen aus anderen Ländern. In Frankreich, wo im Zuge der Strauss-Kahn-Affäre gerade ein Gesetz gegen Belästigung erarbeitet wird, hat Peeters-Film für Furore gesorgt. Feministinnen beklagen sich längst über ähnliche Zustände und zitieren dabei das Beispiel von Wohnungsbauministerin Cecile Duflot, die im Pariser Parlament mit eindeutigen Pfiffen begrüßt wurde, als sie in einem langärmeligen geblümten Kleid erschien. So ein Kleid habe sie ja wohl angezogen, "damit man sie anschaut, nicht damit man ihr zuhört", erging sich der konservative Abgeordnete Patrick Balkany aus Nicolas Sarkozys UMP in anzüglichen Bemerkungen.

Eine Umfrage aus London weist in die gleiche Richtung. Auch in der britischen Hauptstadt wurden im Vorjahr vier von zehn Frauen im vergangenen Jahr im öffentlichen Raum belästigt. Peeters Arbeit hat das Tabu über Belästigungen von Frauen in einer europäischen Großstadt gebrochen. Und Brüssel reagierte als erste EU-Metropole darauf - mit einem Strafgeld.

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