25 Jahre Engholm-Rücktritt Jähes Ende eines großen Hoffnungsträgers

KIEL (dpa) 3. Mai 1993, es ist ein bitterer Tag für die SPD, „ein ganz schwerer Schlag“, wie Parteivize Johannes Rau sagt. Er meinte den Rücktritt von Björn Engholm von allen Ämtern: Der damals 53-Jährige gab auf als SPD-Chef, als designierter Kanzlerkandidat für die Wahl 1994 und als Ministerpräsident in Kiel. Bis dato hatte es gut für das Ziel der SPD ausgesehen, mit dem populären Pfeifenraucher und Schöngeist aus Lübeck Helmut Kohl als Kanzler abzulösen. Doch Engholms Rückzug stürzte die SPD in eine Führungskrise.

Engholm gab auf, weil ihm eine alte Falschaussage zum Barschel-Pfeiffer-Skandal von 1987 zum Verhängnis geworden war. Im damaligen Landtagswahlkampf hatte der Referent Reiner Pfeiffer aus der Staatskanzlei von CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel mit fiesen Tricks versucht, den SPD-Mann unter Druck zu setzen. Engholm wurde als Feind behandelt. Pfeiffer ließ ihn bespitzeln, stellte mit einer anonymen Anzeige seine Steuerehrlichkeit infrage und quälte ihn als falscher Arzt am Telefon mit einem angeblichen Aids-Verdacht. Erst am Vorabend der Wahl vom 13. September 1987 habe er von Pfeiffers Treiben erfahren, hatte Engholm stets gesagt. Doch sein Anwalt hatte ihn schon am 7. September informiert – unter dem Druck eines Untersuchungsausschusses gab Engholm das dann 1993 auch zu.

Schließlich rang er sich zum Rücktritt als SPD-Chef und Ministerpräsident durch, der er seit 1988 war. „Engholm fehlte Kampfgeist“, kommentierte die Zeitung „Politiken“ aus Dänemark damals. Auch andere meinten, Engholm hätte nicht aufgeben müssen. Er selbst sprach angesichts der Wissensdifferenz von wenigen Tagen einmal von einer Petitesse. Aber er hatte eben nicht die Wahrheit gesagt, und das hatte eine große politische Dimension.

„Der Rücktritt war ein extremer Schock für die Sozialdemokratie“, sagt der Göttinger Parteienforscher Matthias Micus. Ein bisschen ähnlich wie 2017 bei Martin Schulz seien mit Engholm enorme Hoffnungen verbunden gewesen, da man in ihm so etwas wie einen „politischen Antitypus“ gesehen habe – nachdenklich, Skandalen abhold, nicht machtbesessen. Für viele habe Engholm eine bessere Form eines Politikers verkörpert, sagt Micus. Dass er zugeben musste, mehr über die Barschel-Affäre zu wissen, habe für die SPD dann einen enormen Vertrauensverlust bedeutet. Der Rücktritt trug maßgeblich dazu bei, dass die SPD mit der „Troika“ Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Kanzlerkandidat Rudolf Scharping die Wahl 1994 verlor. Erst 1998 zog dann Schröder ins Kanzleramt ein. Lafontaine hatte sich bereits 1995 an die Parteispitze geputscht.

In seiner Rücktritts-Erklärung hatte Engholm eine „existenzielle Grenzsituation“ geltend gemacht, in der er 1987 gewesen sei. Unbeschreiblich Bedrückendes hätten er, Familie, Freunde und Mitstreiter erlitten, äußerte er später. Das Ganze habe zu Verdrängung geführt. „Und Verdrängung trübt die Ratio“, sagte er einmal auf die Frage, warum er als Opfer schäbiger Wahlkampftricks nicht direkt die Wahrheit gesagt habe. Zum 25. Jahrestag seines Rücktritts wollte sich Engholm (78) nicht in einem Interview über die Ereignisse von damals äußern.

„Das war ein richtiges Drama“, sagt im Rückblick seine Nachfolgerin Heide Simonis (74). „Ich glaube, das wirkt bis heute nach.“ Ob Engholm hätte weitermachen können? „Ja, aber es wäre ein Teufelsritt geworden.“ So kam es im Norden zu einem Novum: Simonis stieg von der Finanzministerin zur ersten Regierungschefin eines Bundeslandes auf.

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