Leitartikel zum Protest der Landwirte Die Bauern verdienen mehr Wertschätzung

Da hat sich einiges aufgestaut, und der Unmut der Bauernschaft ist berechtigt. Im Wettstreit mit dem Verbraucher- und Naturschutz haben die Landwirte ein ums andere Mal das Nachsehen.

Leitartikel. Die Bauern brauchen dringend mehr Wertschätzung
Foto: SZ/Robby Lorenz

Sie müssen liefern, egal wie. Ob mehr Tierwohl, weniger Pflanzenschutz oder gesunde, aber bitteschön billige Lebensmittel. Dies ist politisch so gewollt, weil man glaubt, der gesellschaftlichen Mehrheit damit zu entsprechen. Doch ohne Unterstützung der Landwirte sind schwerlich Wahlen zu gewinnen, zumindest nicht in ländlichen Räumen und Regionen. Das treibt momentan vor allem die Union um.

Ackervergifter, Tierquäler und Insektentöter, so lauten die pauschalen Vorwürfe, gegen die sich die Landwirte bei der Demonstration in Berlin gewehrt haben. Wer solche Attacken im Munde führt, lebt in bräsiger Selbstverständlichkeit. Immer volle Regale, selbst in Zeiten der Erntekrise, frische Ware auch noch am Abend, das ist die Anspruchshaltung eines großen Teils der Konsumgesellschaft. Und ja keine hohen Preise. Dass hinter dem umfassenden Einkaufsglück jede Menge Arbeit und meist ein geringes Familieneinkommen stecken, sehen offenkundig nur noch die Wenigsten. Es ist gut, dass die Bauern auf den Putz hauen und sich gegen die Stigmatisierungen vieler Zeitgenossen wehren. Sie haben mehr Wertschätzung verdient. Von den anspruchsvollen Konsumenten, von der Industrie, der sie zuliefern und die am liebsten die Preise für die Waren drückt. Aber auch von der Politik. Die Umbruchzeit durch die Globalisierung ist da kein Gegenargument.

Dass sich viel Positives in der Landwirtschaft getan hat, kann niemand ernsthaft bestreiten. So qualitativ hochwertig wie heute waren Lebensmittel noch nie. Auch bei der Produktion hat sich einiges zum Besseren gewandelt, insbesondere was den Tierschutz angeht. Die Bauernschaft ist überwiegend mit der Zeit gegangen. Gleichwohl lassen sich viele Veränderungen nicht über Nacht realisieren. Sie brauchen gute Rahmenbedingungen. Womit die Bundesregierung ins Spiel kommt: Sie hat es in den letzten Jahren versäumt, klare Orientierung und Verlässlichkeit zu geben; sie hat stattdessen zu oft Stückwerk geliefert und zugleich die Konkurrenz von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft noch verschärft – Stichwort Düngemittelverordnung, Änderungen im Baugesetzbuch oder aber durch den Streit ums Glyphosat. Umweltminister Svenja Schulze gegen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Und umgekehrt. Die Proteste sind der Ausdruck der Verunsicherungen, die durch politische Dauerkonflikte entstanden sind. Kein Wunder, dass mühsam gezimmerte Kompromisse wie beim Agrarpaket und dem Insektenschutz lediglich als Verschärfungen und neue Drangsalierung empfunden werden.

Zu spüren bekommen den Unmut vor allem die Unionsparteien. Auf dem CDU-Parteitag wurde Ministerin Klöckner schon die Hölle heiß gemacht. Denn die Union verliert bei der Bauernschaft an Boden. Klöckner hält vor allem mit Dialog dagegen. Reichen wird das aber wohl nicht.

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