Leitartikel Frankreichs Staatschef im Krisenmodus

Auch wenn es inzwischen sehr ruhig geworden ist um die Gelbwesten, ist das Problem keineswegs gelöst. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat zwar mit milliardenschweren Entlastungen für die unteren Einkommen und Rentner etwas den Dampf aus dem Kessel gelassen, dadurch wurden aber die von den Demonstranten angeprangerten sozialen Ungleichheiten nicht beseitigt.

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Foto: SZ/Lorenz Robby

Umfragen besagen, dass neun von zehn Franzosen noch immer die Forderungen der „Gilets Jaunes“ nach mehr Gerechtigkeit unterstützen. Das heißt, dass die Unzufriedenheit weiter gärt. Für den Präsidenten ist das eine bedrohliche Erkenntnis. Denn es sind nicht irgendwelche Randgruppen, die sich abgehängt fühlen, es ist der Mittelstand, der aufbegehrt, es ist das Volk. Das erklärt auch, weshalb sich Emmanuel Macron seit Wochen im Krisenmodus bewegt. Wie aufgedreht reiste er schon im Sommerurlaub durch die Lande. Mit aller Macht will er das Bild des abgehobenen Staatsoberhauptes, das den Kontakt zum normalen Leben verloren hat, aus den Köpfen der Menschen löschen.

Der Präsident hat also am Ende auf die Proteste der „Gilets Jaunes“ gezielt und schnell reagiert. Eines aber wird er nicht tun: von seinem grundlegenden Reformkurs abweichen. Macron ist in diesem Fall das Gegenteil seines Vorgängers Jacques Chirac, der manche Projekte begonnen hat und dann wieder fallen ließ, wenn der Druck der öffentlichen Meinung zu groß wurde. Macron ist zutiefst überzeugt davon, die dringend notwendigen Reformen durchsetzen zu müssen. Daher hält er auch in dieser angespannten Situation am so umstrittenen Umbau des Rentensystems fest. Für Anfang Dezember haben die Gewerkschaften zu einem großen Streik aufgerufen, der das Land über Wochen lahmlegen könnte.

 Macron glaubt aber, diese gewaltige Kraftprobe in Angriff nehmen zu können. Das hat zwei Gründe: zum einen ist er überzeugt, den einzig richtigen Weg zu gehen, die besseren Argumente auf seiner Seite zu haben und dass auch sein Volk ihm eines Tages dankbar sein wird. Auf der anderen Seite hat Macron ein machtpolitisches Kalkül. Die moderaten Parteien links und rechts im politischen Spektrum sind marginalisiert. Bei den Europawahlen sind die einst stolzen Sozialisten und auch die Konservativen auf einstellige Ergebnisse abgestürzt. Als einzige  ernstzunehmende Gegnerin bleibt Marine le Pen, die Chefin des rechtsradikalen Rassemblement National. Der Machtpolitiker Macron geht davon aus, dass die nächsten Präsidentenwahlen wieder auf einen Zweikampf zwischen ihm und der im Volk ungeliebten Marine Le Pen hinauslaufen – und er dieses Duell erneut gewinnen wird. Um seine Gegnerin zu schwächen versucht er inzwischen auch, auf deren ureigenen Feldern Stimmen zu sammeln – etwa durch die in diesen Tagen medienwirksam präsentierte Verschärfung der Migrationspolitik.

Die Rechnung von Präsident Emmanuel Macron könnte aufgehen – solange es zu ihm im moderaten politischen Spektrum keine personelle und programmatische Alternative gibt.

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