Sachbuch über neue Medien Machen Smartphones dumm und depressiv?

Saarbrücken · Wie wirkt sich die Allgegenwart von Smartphones und Computern auf Kinder und Jugendliche aus? Katastrophal, schreibt der Psychiater Manfred Spitzer.

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Foto: Klett-Cotta

Smartphones machen dick, dumm und depressiv. Das jedenfalls ist die Meinung des Hirnforschers und Psychiaters Manfred Spitzer. Während in Deutschland die Politiker darüber diskutieren, wer die Digitalisierung im Klassenzimmer bezahlt, schaffen die Schulen in Australien Computer bereits wieder ab, weil sie sich negativ auf das Lernverhalten von Kindern auswirken. In Finnland hat man ähnliche Erfahrungen gemacht. Vor 20 Jahren ging das Land noch als Sieger aus den Pisa-Studien hervor und wurde von vielen Nationen beneidet. Um den hohen Standard zu bewahren, steckten die Skandinavier viel Geld in die Digitalisierung von Schulen. Mit dem Effekt, dass sich Finnland bei den jüngsten Pisa-Erhebungen  im Mittelfeld widerfindet.

In seinem Buch „Die Smartphone-Epidemie“ warnt Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und Herausgeber der Fachzeitschrift „Nervenheilkunde“, eindringlich vor den Gefahren der Mobiltelefone für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft. Er setzt damit fort, was er in seinen Bestsellern „Digitale Demenz. Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen“ (2012) und „Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert“ (2015) begonnen hat, und mahnt zu einem gemäßigten Umgang mit neuen elektronischen Medien. Seien doch vor allem Kinder und Jugendliche anfällig, deren Gehirn noch nicht fertig entwickelt sei.

Mag es auch problematisch sein, dass Spitzer die wissenschaftlichen Studien, die er anführt, um seine eigenen Thesen zu stützen, sehr selektiv zitiert und er immer wieder munter zwischen Smartphone, YouTube und Facebook hin- und herspringt, so gibt sein Buch doch Anlass zum Nachdenken. Seit Apple 2007 das erste Smartphone auf den Markt brachte, das sich mit seinen multiplen Funktionen schnell zu einem „Schweizermesser des digitalen Zeitalters“ entwickelte, haben Mediziner bei ihren Patienten eine Zunahme an Aufmerksamkeitsstörungen, Angst, Sucht, Demenz und Depressionen festgestellt. Auch Schlafstörungen und Bluthochdruck lassen sich auf den Gebrauch der Geräte zurückführen. Mal ganz davon abgesehen, dass bei jüngeren Verkehrsteilnehmern das Smartphone als Unfallursache Nummer Eins mittlerweile den Alkohol abgelöst hat.

Schon durch das Fernsehen verringerte sich der Aktionsradius von Jugendlichen. Smartphones und Computerspiele bewirken das noch viel stärker, so dass sich neuesten Studien zufolge der Radius seit den 1970er Jahren um 90 Prozent verringert hat. Weniger Bewegung und weniger Sport aber wirken sich auf die Gesundheit aus. Die Heranwachsenden reagieren am Bildschirm nur noch, statt zu agieren. Auch in die Natur gehen sie seltener und lernen so ihre Umwelt nicht mehr schätzen. Eine Studie zeigte schon 2002, dass Kinder ab dem achten Lebensjahr mehr Pokémon-Monster benennen können als Tiere und Pflanzen. Die Folge dieses exzessiven Vor-dem-Bildschirm-sitzens ist ein Anstieg an Adipositas-Erkrankungen und Haltungsschäden. In Südkorea, dem Land, in dem die meisten Smartphones produziert werden und fast jeder Jugendliche eines besitzt, stieg bei den unter 20-Jährigen wie Spitzer schreibt, die Zahl der Kurzsichtigen auf unglaubliche 95 Prozent, da das kindliche Auge sich in der Entwicklung auf das kleine Display einstellt und sich der Augapfel deswegen verformt.

In den USA verbringen 13- bis 18-Jährige im Schnitt neun Stunden vor dem Monitor. In Großbritannien hat eine Studie ergeben: Wer mit 13 täglich mehr als drei Stunden bei Facebook aktiv ist, leidet mit 18 doppelt so häufig an Depressionen. Mobbing in der Schule ist Tür und Tor geöffnet. Es wächst die Angst, etwas zu verpassen. In Deutschland hat eine Studie von 2018 bei Vorschulkindern erbracht, dass Zwei- bis Sechsjährige, denen Computer und Smartphones in die Hand gedrückt wurden, ein Jahr später Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Kindern und weniger Freunde hatten. Sie leiden an Hyperaktivität und Schlaflosigkeit. Der direkte Umgang mit anderen Kindern ist unabdingbar für die Entwicklung von Emotionen und Empathie. Wer keine Freunde hat, beschäftigt sich noch mehr mit digitalen Medien. Ein Teufelskreis.

Mehr als vier Milliarden Menschen nutzen Smartphones. Mehr als die Hälfte verbringt damit mehr als fünf Stunden am Tag. Das ist fatal, wenn man bedenkt, dass digitale Medien auch auf das Lernverhalten keinen guten Einfluss haben. Selbst ein abgeschaltetes Handy auf dem Tisch verringert im Unterricht die Konzentrationsfähigkeit. Schüler machen mit ihren Laptops und Smartphones alles, nur nicht lernen. In einer Zeit, in der YouTube das Fernsehen als Leitmedium der jungen Menschen abgelöst hat, ist die Verlockung viel zu groß, herum zu surfen. „Wer viel Multitasking betreibt“, sagt Spitzer, „gewöhnt sich eine Aufmerksamkeitsstörung an.“ Bei einer Studie im Großraum London, an der 90 Schulen teilnahmen, verbesserten sich die Noten schon ein Jahr nach einem Handyverbot. Spitzer: „Je schlechter die Schüler vor dem Verbot waren, desto mehr profitierten ihre Leistungen davon.“

Auch wenn es sich bei vielen der angesprochenen Symptome um allgemeine Internet-Phänomene handeln und nicht explizit um Probleme, die durch Smartphones verursacht werden: Weil das Mobiltelefon zu unserem ständigen Begleiter geworden ist, es den Zugriff auf Internet und Soziale Netzwerke immer und an jedem Ort möglich macht, kommt ihm eine Art Verstärker-Funktion zu. Der Umgang mit Smartphones muss erlernt werden, wie bei jedem Medium. Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, ihren Kindern das zu vermitteln und ein Auge darauf zu haben, wie diese die digitalen Medien nutzen. Das heißt auch, dass Vater und Mutter den richtigen Umgang selbst vorleben und sich ihrer Vorbildfunktion bewusst werden.

Manfred Spitzer: Die Smartphone-Epidemie. Klett-Cotta Verlag,
368 Seiten, 20 Euro.

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