Ein Bau der Kontraste

Höxter · Mit dem Kloster Corvey im westfälischen Höxter hat Deutschland seit Samstag ein neues Weltkulturerbe der Unesco. Es verbinde herausragend die karolingische Architektur mit antiken Vorbildern zu einem Kunstwerk, teilte die deutsche Unesco-Kommission mit. Zudem habe die Reichsabtei als religiöses und politisches Zentrum eine entscheidende Rolle in Europa gespielt.

Wenn man sich Schloss Corvey nähert, sieht man das so genannte Westwerk schon von Weitem: Mit zwei Türmen reckt sich dieser gewaltige, wehrhaft wirkende Fassadenvorbau der Kirche in den Himmel. Dieses von 873 bis 885 erbaute Westwerk, das älteste seiner Art, stand im Zentrum der Bewerbung Corveys um den Titel eines Weltkulturerbes. Auf ihrer diesjährigen Tagung hat die Unesco dem einzigen deutschen Bewerber den begehrten Titel nun zuerkannt.

Das aus rötlich-braunem Sandstein aus dem nahen Sollingen erbaute Westwerk der ehemaligen Corveyer Abteikirche ist bis auf wenige Änderungen im Originalzustand erhalten. Das Westwerk ist nicht nur ein Symbol für die Stärke des Glaubens, sondern auch für die Macht der Franken. Es entstand als Konsequenz des von Karl dem Großen erfolgreich geführten Krieges gegen die heidnischen Sachsen. Karl erlebte die Ausführung seines Planes einer Klostergründung im eroberten Gebiet allerdings nicht mehr. Aber sein Sohn Ludwig der Fromme ließ ab 822 im heutigen Corvey an der Weser erst eine Abteikirche und dann ein Kloster erbauen, für das Benediktiner aus dem westfränkischen Corbie in den Osten des Reiches umsiedelten.

Schnell entwickelte sich das neue Kloster zu einem bedeutenden Glaubensvermittler. Von Corvey aus wurden Norddeutschland und Teile Skandinaviens missioniert. Zahlreiche neue Klostergründungen gingen von hier aus. Nach der Überführung der Gebeine des Heiligen Vitus aus der Pariser Abtei St. Denis 836 war Corvey auch Wallfahrtsort geworden. Abschluss und Krönung der Baumaßnahmen war das Westwerk, erbaut über einem quadratischen Grundriss. Die niedrige Vorhalle im Ergeschoss, durch die man Kirche und Kreuzgang erreicht, erinnert mit Säulen, Pfeilern und Kreuzgratgewölbe an eine Krypta. Im Hauptraum darüber, an drei Seiten von Emporen umgeben, soll sich der Herrschersitz befunden haben. Denn Corvey war zum beliebten Ziel deutscher Kaiser und Könige geworden und unterstand als Reichsabtei direkt dem Kaiser. Vom Logenplatz verfolgten die Mächtigen den Gottesdienst.

Die Architektur des Westwerks orientierte sich an antiken Vorbildern - Skulpturen der Kaiser Karl und Ludwig flankieren das Portal des heutigen Schlosses Corvey und erinnern an die Gründung. Doch außer dem Westwerk ist nichts weiter aus fränkischer Zeit erhalten. Die Benediktiner blieben zwar rund 1000 Jahre ohne Unterbrechung, doch mussten sie den Niedergang des Klosters im Spätmittelalter und die Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg miterleben. In einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang jedoch der Wiederaufbau der Abtei einschließlich einer neuen Kirche, nun im Stile des Barock. Nach der Säkularisation im Jahr 1803 ging auch Corvey in weltliche Hände über: Aus der Abtei wurde nun ein Schloss.

Im Besitz des Herzoglichen Hauses von Ratibor ist das unveränderte Barockensemble, das sich um zwei Innenhöfe gruppiert, noch heute, doch stehen große Teile dem Publikum offen. Durch den Kreuzgang gelangt man in die Museumsräume, die mit ausgewählten Exponaten über die Geschichte der Abtei informieren. Prunkstücke des in den vergangenen Jahren restaurierten Schlosses sind der barocke Kaisersaal, der schon den Corveyer Äbten zu Repräsentationszwecken diente und der heute für Kulturveranstaltungen genutzt wird, sowie die Bibliothek aus dem 19. Jahrhundert, eine der größten privaten Büchersammlungen des Landes. Um ihren Ausbau hatte sich ab 1860 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben verdient gemacht, der Dichter der deutschen Nationalhymne. Sein Grab findet man auf dem kleinen Corveyer Friedhof. Auch die historische Vielschichtigkeit, die Brüche, die diesen Ort geprägt haben, sind sichtbar geblieben. Sie haben die Welterbe-Kommission zu ihrem positiven Urteil bewogen - er ist nun das 39. deutsche Weltkulturerbe.

Informationen: Tel. (0 52 71) 69 40 10, geöffnet 10 bis 18 Uhr. www.schloss-corvey.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort