Die schwere Geburt der Verdi-Fusion

Saarbrücken/Frankenthal · Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi schlägt heute ein neues Kapitel auf. Die Landesverbände Rheinland-Pfalz und Saarland sehen in einer Fusion mehr Stärke. An der Saar gab es zuvor lange Jahre Widerstand.

 Rolf Linsler kämpfte jahrelang für die Selbstständigkeit von Verdi an der Saar. Für ihn kam ein Zusammenschluss mit Rheinland-Pfalz nicht infrage. Fotos: Becker & Bredel

Rolf Linsler kämpfte jahrelang für die Selbstständigkeit von Verdi an der Saar. Für ihn kam ein Zusammenschluss mit Rheinland-Pfalz nicht infrage. Fotos: Becker & Bredel

Alfred Staudt isolierte Verdi mit dem Rückzug aus den Gesprächen mit der Landesregierung.

Alfred Staudt isolierte Verdi mit dem Rückzug aus den Gesprächen mit der Landesregierung.

Es ist die wohl stärkste Aktion in seiner Amtszeit. Und er beweist, wie ernst er es meint. Auf dem Höhepunkt des Landtags-Wahlkampfes 1999, es geht für die SPD um die Wiederwahl von Reinhard Klimmt als Ministerpräsident, lässt der ÖTV- und spätere Verdi-Landeschef Rolf Linsler zwei Wochen vor dem Urnengang an einem Samstag die Saarbahn-Fahrer für höhere Löhne streiken. Saarbahn-Chef ist das SPD-Mitglied Norbert Walter . Wutentbrannt rufen Genossen, die um Wählerstimmen bangen, schon am frühen Morgen Linsler zu Hause an und beschimpfen ihn heftig. Noch Jahre später schmunzelt er schelmisch und sagt öffentlich: "Ich würde es wieder tun." Klimmt verliert die Wahl gegen Peter Müller - aus anderen Gründen.

DGB-Landeschef Eugen Roth spricht über seinen langjährigen, inzwischen verstorbenen Weggefährten Linsler als eine Ausnahmepersönlichkeit, einen Kämpfer mit Gespür, der im richtigen Moment Stärke gezeigt und, etwa in Tarifverhandlungen, auch zum richtigen Zeitpunkt wieder am Verhandlungstisch gesessen habe.

Seine Persönlichkeit und sein Charisma sorgen für Neueintritte in die Gewerkschaft und für Respekt bei den "Mächtigen". Nahezu jedes Thema besetzt die ÖTV, später Verdi, in der Ära Linsler. Ob es um den Abbau von Bundesbehörden geht, Privatisierungspläne an der Uniklinik in Homburg oder Personal-Sparpläne der Landesregierung.

Als Ministerpräsident Oskar Lafontaine die Zahl der Beamten verringern und die Beförderungs-Intervalle verlängern will, kontert Linsler heftig: "Ich habe mir den Gedanken weitgehend abgeschminkt, dass eine sozialdemokratische Regierungspartei eine arbeitnehmernähere Politik betreibt." Im Rückzug von Bundesbehörden sieht Linsler die Gefahr, dass das Saarland zur Randprovinz verkommt. Seine Mahnung hat bis heute Gültigkeit: "Der Einsatz für die politische Existenz des Saarlandes hat nichts mit Trachtentum und Folklore zu tun. Vielmehr hängen von diesem Einsatz tausende von Arbeitsplätzen ab."

Diesen Einsatz sieht Linsler auch in einem eigenständigen Verdi-Landesbezirk Saar besser aufgehoben als in einer Fusion mit Rheinland-Pfalz, gegen die er sich jahrelang vehement wehrt. Mit dem Verweis auf wirtschaftlich gesunde Strukturen, Mitgliederzuwächse und die räumliche Nähe zum Ort, wo die Entscheidungen fallen: in Saarbrücken, nicht in Mainz. 2007 tritt Linsler altersbedingt ab und wechselt noch einige Jahre in die Politik zu den Saar-Linken.

Unter seinem Nachfolger Alfred Staudt gerät Verdi in immer schwierigeres Fahrwasser. Die Befürworter einer Fusion verschaffen sich zunehmend Gehör. Staudt gelingt es trotz viel persönlichen Einsatzes nicht, das Charisma und den Kampfgeist seines Vorgängers zu entwickeln. Auch macht er einen schweren strategischen Fehler, von dem sich Verdi an der Saar bis heute nicht erholt hat. Während der Verhandlungen mit Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU ) über den Sparkurs des Landes verlässt Verdi auf Veranlassung von Staudt den Verhandlungstisch. Andere Gewerkschaften folgen diesem Schritt nicht. Verdi isoliert sich, was Staudt auch eine persönliche Niederlage zufügt. Um ihn ist es sehr ruhig geworden.

Seit dem 1. April 2014 arbeiten die Landesverbände Rheinland-Pfalz und Saarland organisatorisch zusammen. Der neue Bezirk Saarland-Trier hat laut Bezirksgeschäftsführer Thomas Müller 36 000 Mitglieder aus dem Saarland und 8000 aus Trier. Damit gehöre man bundesweit zu den größeren Bezirken, was den Einfluss stärke.

Auf der heutigen ersten ordentlichen Landesbezirkskonferenz in Frankenthal soll als Aufbruchsignal eine neue Führung gewählt werden. Müller sieht in der Fusion aus saarländischer Sicht eine Chance. "Ich gehe davon aus, dass wir weiter selbstständig agieren können." Es werde eine Weile dauern, bis man in der neuen Struktur das Format eines Rolf Linsler erreicht hat. "Ich denke aber, dass wir das können. Wir werden den Beweis antreten." Eugen Roth gibt der Fusion eine Chance, wenn Rheinland-Pfalz und das Saarland auf einer Höhe agieren. Was sich ab heute zeigt.

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