Widerstand gegen die Tarifeinheit

Berlin · Das Arbeitsministerium den Spartengewerkschaften mit einem Gesetz zur Tarifeinheit Grenzen setzen. Doch bei Arbeitnehmervertretern wächst die Sorge, dass das Streikrecht beschränkt würde.

Der Konflikt zwischen Gewerkschaften und SPD über den Mindestlohn ist noch nicht ausgestanden, da droht bereits die nächste Auseinandersetzung: Arbeitnehmervertreter machen Front gegen ein Gesetz zur Herstellung der Tarifeinheit. Die Eckpunkte des Gesetzes von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD ) sollten heute vom Kabinett verabschiedet werden. Doch der Tagesordnungspunkt wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, teilte das Ministerium auf Nachfrage mit.

Wenn Lokführer und Ärzte streiken oder Lufthansa-Piloten den Flugverkehr lahmlegen, sind stets kleine Spartengewerkschaften am Werk. Für die Arbeitgeber ist das misslich, weil sie gleich mit mehreren Interessengruppen in einem Unternehmen klarkommen müssen. Der DGB, Dachverband der großen Gewerkschaften , ist über die Konkurrenz ebenfalls wenig erbaut. Deshalb war es bereits vor vier Jahren zu einer erstaunlichen Allianz gekommen. Der DGB und der Arbeitgeberverband BDA drängten gemeinsam auf eine gesetzliche Lösung. So sollte nur die Gewerkschaft, die in einem Betrieb über die meisten Mitglieder verfügt, Tarifverträge aushandeln und zu Streiks aufrufen dürfen. Damit wären kleine Gewerkschaften faktisch zur Bedeutungslosigkeit verdammt. So will es jetzt auch die große Koalition regeln.

Doch nun rumorte es in Sachen Tarifeinheit auch unter dem DGB-Dach. "Wir lehnen unverändert jeden gesetzlichen Eingriff ins Streikrecht ab", sagte Verdi-Chef Frank Bsirske unserer Zeitung. Genau darauf laufen jedoch die Pläne des Nahles-Ministeriums hinaus. In dem Gesetzentwurf heißt es: "Soweit sich im Betrieb Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften überschneiden, kommt nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft zur Anwendung, die im Betrieb mehr Mitglieder hat". Dies schließe auch die Geltung der Friedenspflicht ein. Nach Auffassung des zweiten Vorsitzenden der IG Metall, Jörg Hofmann, wird damit das Recht zum Arbeitskampf für kleine Gewerkschaften unterhöhlt. Und auch die grundgesetzlich verbriefte Koalitionsfreiheit. Demnach steht es jedem frei, ob er sich in einer Gewerkschaft organisiert und wenn ja, in welcher. Eine Interessenvertretung, der praktisch die Hände gebunden sind, wäre höchst unattraktiv.

Das Arbeitsministerium versicherte, dass das Eckpunkte-Papier "aus unserer Sicht jederzeit im Kabinett behandelt werden kann". Dass es entgegen der Planungen heute doch nicht dazu kommen wird, hat auch mit dem Widerstand in der Union zu tun. Die Tarifeinheit gilt dort als weiteres Lieblingsprojekt der SPD , von denen man zuletzt genug hatte. Siehe Rente mit 63, Mietpreisbremse oder Mindestlohn. Außerdem sollten sich die DGB-Gewerkschaften erst selbst einig werden, so der Tenor. Der Unionsabgeordnete Rudolf Henke machte aus seiner Ablehnung des Vorhabens keinen Hehl: Wenn die Pläne umgesetzt würden, gäbe es künftig ein "Zweiklassenrecht für Gewerkschaften ", warnte Henke, der auch Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ist. Die einen dürften Tarifverträge schließen und ihre Mitglieder zum Streik aufrufen, "die anderen müssen sich unterordnen und Ruhe geben".

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