Wir essen nicht das Falsche, wir essen zu viel

Es formiert sich Widerstand gegen die unendlichen Diskussionen über ungesundes Essen. Die Wochenzeitung "Die Zeit" sprach davon, dass "richtiges Essen" ganz einfach sei, der "Stern" wetterte gegen Essen als Religionsersatz. Ist jetzt also Schluss mit Hysterie, mit Gesundessen, Korrektessen, Ökoessen, Frei-von-Essen und Wenigessen? Neu wäre die Parole, dass die Deutschen wieder normal essen sollten, nicht. Der große alte Grantler der Ernährungsszene, Udo Pollmer, hat sie in seinem Buch "Esst endlich normal!" schon 2005 ausgerufen. Auch Werner Bartens, Medizinredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, ätzt seit Jahren gegen die seiner Meinung nach diffuse Studienlage in der Ernährungswissenschaft. Sein schlichter Rat: Essen, das glücklich macht - Pizza zum Beispiel. Es gebe Studien aus Italien, so Bartens, die zeigen, dass Pizza-Esser gesünder seien. Nicht etwa, weil die Pizza geheimnisvolle Inhaltsstoffe habe, sondern weil sie "in fröhlicher Runde" genossen werde und auf diesem Wege den Menschen gut tue. Und das halte eher das Normalgewicht als einsame Frustfresserei. Doch wenn sich alle wieder entspannen, im Freundeskreis essen und auf ihren Körper hören sollen, kann man da sicher sein, dass das klappt? Soll man sich einfach gar keine Gedanken mehr machen und nach Lust und Laune das essen, worauf man Appetit hat? So raten es einige Akteure der Debatte, die behaupten, der Bauch weise selbst den besten Weg. Aber viele Menschen haben Grund, ihrem eigenen Körper zu misstrauen - wohl zu Recht. Denn nach wie vor gilt: Wir essen nicht das Falsche. Wir essen zu viel. Übergewicht ist immer noch das große Ernährungsproblem dieser Tage. Nicht seltene Allergien und harmlose Unverträglichkeiten. Darüber sind sich Experten einig. Übergewicht ist der gravierende Risikofaktor für Zivilisationskrankheiten von Arthrose über Diabetes bis zum Herzinfarkt. Wer sich aber Übergewicht über die Jahre angefuttert hat, wird es nicht über Nacht los. Das Gleiche gilt für die Gewohnheiten und lieb gewordenen Rituale, die die Kilos auf die Rippen gebracht haben. Gerade deshalb ist es auch fatal, dass es heute an Orientierung fehlt. 60 Jahre Hysterie und entgleiste Debatten über Fett, Fleisch, Eier, Cholesterin, Zucker, Milch oder Weizen haben in Deutschland verbrannte Erde hinterlassen. Wie und was soll man also essen? Die eine gesunde Ernährung für alle gibt es nicht. Diese Erkenntnis verdient es, endlich im allgemeinen Bewusstsein verankert zu werden. Es gibt keinen Kanon von Lebensmitteln, den man für alle Menschen festlegen kann und der sie dann automatisch gesund macht oder gesund hält. Die besten europäischen Ernährungsexperten, darunter der unvergessliche Volker Schusdziarra von der Technischen Universität München, haben das schon vor 15 Jahren propagiert. "Es besteht nicht einmal ein Zusammenhang von einzelnen Nährstoffgruppen oder Lebensmitteln zu Übergewicht und Normalgewicht", sagt Professor Dr. Johannes Erdmann, Ernährungsmediziner an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Auch die Deutsche Adipositas-Gesellschaft hat das in ihrer neuen wissenschaftlichen Leitlinie nach langem Ringen endlich klargestellt. Ganz gleich, ob der Anteil an Fett, Kohlenhydraten oder Proteinen höher ist, das Mengenverhältnis hat keinen Einfluss auf das Gewicht und auch nicht auf das Abnehmen. Mit anderen Worten: Es ist egal, was man isst, man kann trotzdem dick oder schlank, gesund oder krank sein. Das sind schlicht Ergebnisse von Untersuchungen an Übergewichtigen und Schlanken. Manche von ihnen essen viel, andere weniger, manche schwelgen in Fett und Fast Food, andere halten sich an Vollkorn, Nudeln und Obst. Doch es gibt kein übereinstimmendes Ernährungsmuster, das Forscher für Übergewicht verantwortlich machen könnten. Das haben auch die mehr als 10 000 Ernährungsprotokolle, die an der Ambulanz für Übergewichtige der TU München unter Volker Schusdziarra und Johannes Erdmann geführt wurden, ergeben. Auch ein Patentrezept für das Abnehmen gibt es nicht. Der Genuss beim Essen bleibt

Es formiert sich Widerstand gegen die unendlichen Diskussionen über ungesundes Essen. Die Wochenzeitung "Die Zeit" sprach davon, dass "richtiges Essen" ganz einfach sei, der "Stern" wetterte gegen Essen als Religionsersatz. Ist jetzt also Schluss mit Hysterie, mit Gesundessen, Korrektessen, Ökoessen, Frei-von-Essen und Wenigessen?

Neu wäre die Parole, dass die Deutschen wieder normal essen sollten, nicht. Der große alte Grantler der Ernährungsszene, Udo Pollmer, hat sie in seinem Buch "Esst endlich normal!" schon 2005 ausgerufen. Auch Werner Bartens, Medizinredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, ätzt seit Jahren gegen die seiner Meinung nach diffuse Studienlage in der Ernährungswissenschaft. Sein schlichter Rat: Essen, das glücklich macht - Pizza zum Beispiel. Es gebe Studien aus Italien, so Bartens, die zeigen, dass Pizza-Esser gesünder seien. Nicht etwa, weil die Pizza geheimnisvolle Inhaltsstoffe habe, sondern weil sie "in fröhlicher Runde" genossen werde und auf diesem Wege den Menschen gut tue. Und das halte eher das Normalgewicht als einsame Frustfresserei.

Doch wenn sich alle wieder entspannen, im Freundeskreis essen und auf ihren Körper hören sollen, kann man da sicher sein, dass das klappt? Soll man sich einfach gar keine Gedanken mehr machen und nach Lust und Laune das essen, worauf man Appetit hat? So raten es einige Akteure der Debatte, die behaupten, der Bauch weise selbst den besten Weg. Aber viele Menschen haben Grund, ihrem eigenen Körper zu misstrauen - wohl zu Recht. Denn nach wie vor gilt: Wir essen nicht das Falsche. Wir essen zu viel.

Übergewicht ist immer noch das große Ernährungsproblem dieser Tage. Nicht seltene Allergien und harmlose Unverträglichkeiten. Darüber sind sich Experten einig. Übergewicht ist der gravierende Risikofaktor für Zivilisationskrankheiten von Arthrose über Diabetes bis zum Herzinfarkt. Wer sich aber Übergewicht über die Jahre angefuttert hat, wird es nicht über Nacht los. Das Gleiche gilt für die Gewohnheiten und lieb gewordenen Rituale, die die Kilos auf die Rippen gebracht haben. Gerade deshalb ist es auch fatal, dass es heute an Orientierung fehlt. 60 Jahre Hysterie und entgleiste Debatten über Fett, Fleisch, Eier, Cholesterin, Zucker, Milch oder Weizen haben in Deutschland verbrannte Erde hinterlassen. Wie und was soll man also essen? Die eine gesunde Ernährung für alle gibt es nicht. Diese Erkenntnis verdient es, endlich im allgemeinen Bewusstsein verankert zu werden. Es gibt keinen Kanon von Lebensmitteln, den man für alle Menschen festlegen kann und der sie dann automatisch gesund macht oder gesund hält.

Die besten europäischen Ernährungsexperten, darunter der unvergessliche Volker Schusdziarra von der Technischen Universität München, haben das schon vor 15 Jahren propagiert. "Es besteht nicht einmal ein Zusammenhang von einzelnen Nährstoffgruppen oder Lebensmitteln zu Übergewicht und Normalgewicht", sagt Professor Dr. Johannes Erdmann, Ernährungsmediziner an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.

Auch die Deutsche Adipositas-Gesellschaft hat das in ihrer neuen wissenschaftlichen Leitlinie nach langem Ringen endlich klargestellt. Ganz gleich, ob der Anteil an Fett, Kohlenhydraten oder Proteinen höher ist, das Mengenverhältnis hat keinen Einfluss auf das Gewicht und auch nicht auf das Abnehmen. Mit anderen Worten: Es ist egal, was man isst, man kann trotzdem dick oder schlank, gesund oder krank sein. Das sind schlicht Ergebnisse von Untersuchungen an Übergewichtigen und Schlanken. Manche von ihnen essen viel, andere weniger, manche schwelgen in Fett und Fast Food, andere halten sich an Vollkorn, Nudeln und Obst. Doch es gibt kein übereinstimmendes Ernährungsmuster, das Forscher für Übergewicht verantwortlich machen könnten. Das haben auch die mehr als 10 000 Ernährungsprotokolle, die an der Ambulanz für Übergewichtige der TU München unter Volker Schusdziarra und Johannes Erdmann geführt wurden, ergeben. Auch ein Patentrezept für das Abnehmen gibt es nicht.

Der Genuss beim Essen bleibt

Die beste Strategie gegen Übergewicht, so Johannes Erdmann, setzt am individuellen Essverhalten an. "Menschen haben Muster, von denen sie nur schwer abweichen. Das ist natürlich, denn das Essverhalten ist sehr tief in Körper und Psyche verwurzelt. Man muss also im Rahmen des persönlichen Wohlbefindens Kalorien einsparen lernen." Sich satt essen und abnehmen, so lautet die Formel, die die Münchner Ernährungsmediziner gefunden hatten. Den Bauch füllen, nicht hungern, keine Diät, sondern Speisen so wählen, dass der Genuss bleibt und nur die Kalorienmenge abnimmt.

So lässt sich Rührteig durch Hefekuchen ersetzen, Salami durch Schinken, Pommes frites durch Bratkartoffeln, Schokolade durch Schokopudding - und bis zu 50 Prozent der ursprünglichen Kalorienmenge sind eingespart. Der Clou: Diese Art von Lebensmitteln ist gleich befriedigend, es muss also nicht von heute auf morgen nur noch an Gemüsesticks genagt werden. "Diese Art von Kalorienersparnis bringt auf die Dauer einiges, das konnten wir zeigen. So haben viele unserer extrem adipösen Patienten abgenommen, 20 bis 40 Prozent ihres Körpergewichts", sagt Johannes Erdmann. Von ungesunden oder gesunden Lebensmitteln ist dabei nie die Rede - im Gegenteil: "Es gibt keine gesunden oder ungesunden Nahrungsmittel", so Erdmann. "Man kann sich da wirklich ganz entspannen und alles essen - nichts ist verboten. Die Dosis und die Mischung machen es aus."

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HintergrundEine ausgewogene Ernährung in Kombination mit regelmäßiger körperlicher Aktivität ist wirksamer als abwechslungsreiches Essen allein. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information in Köln. Die Wissenschaftler hatten 34 Ernährungs- und Bewegungsstudien aus aller Welt durchforstet. Zum gleichen Ergebnis kommen Mediziner der amerikanischen Harvard-Universität. Sie hatten 18 medizinische Arbeiten zum Thema Ernährung, Sport und Gewichtsreduzierung ausgewertet: Eine ausgewogene Ernährung in Kombination mit regelmäßiger körperlicher Betätigung führt bei Übergewicht nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig zu einem deutlich größeren Gewichtsverlust als eine ausgeglichene Ernährung allein. np

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