Experte mahnt Schlechte Laune durch soziale Netzwerke

Hamburg/Münster · Viele Informationen auf einmal können manchen Nutzer überfordern. Das führt zu Stress, der in Aggressivität umschlagen kann.

 Die Masse an Informationen, das Gefühl, dauerhaft erreichbar sein zu müssen oder etwas zu verpassen, können Mitglieder sozialer Netzwerke überfordern. Dadurch fühlen sie sich angespannt und reagieren aggressiv.

Die Masse an Informationen, das Gefühl, dauerhaft erreichbar sein zu müssen oder etwas zu verpassen, können Mitglieder sozialer Netzwerke überfordern. Dadurch fühlen sie sich angespannt und reagieren aggressiv.

Foto: Getty Images/ i-stock/Katleho Seisa

Dass der Umgangston in Onlineforen und in sozialen Netzwerken immer rauer wird, kann jeder feststellen, der sich dort an Diskussionen beteiligt. Doch warum werden die Umgangsformen in der Internet-Welt immer schlechter? Dieser Frage sind Medienforscher der Universitäten Hamburg und Münster nachgegangen. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass immer mehr Menschen mit der Datenflut in den sozialen Netzwerken überfordert seien. Schuld daran sei Masse an Informationen und das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen. Dadurch entstehe Stress der in Aggressivität umschlagen könne.

Auf einen anderen Aspekt des steigenden Stresspegels hatten in diesem Sommer Wissenschaftler der Universität Bochum hingewiesen. Weil in sozialen Netzwerken viele Nutzer ihr Leben fast ausschließlich von der Sonnenseite zeigen, leiden Menschen, die ein schwaches Selbstwertgefühl haben. Sie haben den Eindruck, dass vermeintlich alle anderen besser dran seien als sie selbst, sagen die Forscher. Das könne vor allem bei Menschen zu Depressionen führen, die in sozialen Netzwerken selbst nichts veröffentlichen, und dazu neigen, sich mit anderen zu vergleichen.

„Es reicht schon, wenn man nur Urlaubsfotos von Freunden anschaut und selbst arbeiten muss, um gestresst zu reagieren“, erklärt Alegra Kaczinski vom Lehrstuhl für Marketing und Medien der Universität Münster. Schließlich wären viele wohl lieber im Urlaub als im Büro. Doch auch tagesaktuelle Nachrichten können den psychologischen Druck erhöhen. Die Umfrage der Münsteraner Universität hat ergeben, dass vor allem diejenigen, die täglich mindestens eine Stunde soziale Netzwerke als Nachrichtenquelle nutzen, mehr Stress empfinden als andere. „Soziale Medien haben sich für den Großteil der Deutschen zu einer wichtigen Informationsquelle entwickelt“, haben die Forscher um Kaczinski festgestellt. Etwa die Hälfte der Deutschen halte sich durch soziale Netzwerke über aktuelle Themen auf dem Laufenden. „Objektivität ist jedoch nicht zwingend gegeben“, stellt Kaczinski fest. Zwischen seriösen Quellen finden sich auch zahlreiche zweifelhafte Autoren, die ihre Meinung kundtun wollen. Diese Beiträge zu unterscheiden und die Menge an Informationen zu filtern, überfordere viele Nutzer.

Zwischen Mitgliedern komme es daher häufig zu Debatten, vor allem wenn unterschiedliche Meinungen aufeinander treffen. Daher haben Themen, bei denen es kein klares Richtig oder Falsch gibt, großes Diskussionspotenzial. „Die sozialen Netzwerke bieten die Möglichkeit auszuleben, was im Privatleben nicht funktioniert. Die Nutzer neigen dazu, auch über Nichtigkeiten zu diskutieren“, sagt Kaczinski. Gestresst lasse man sich eher auf Auseinandersetzungen ein.

Gerade bei Facebook erkennen die Forscher in ihrer Umfrage, dass die Menschen schneller angespannt und damit eher aggressiv seien. „Das liegt an der Darstellung der Plattform. Facebook ist darauf ausgelegt, dass kommentiert und mit verschiedenen Emotionen wie ‚Gefällt mir‘ oder ‚Liebe‘ aber auch ‚Wütend‘ reagiert wird“, erklärt Kaczinski. „So kochen schnell Diskussionen hoch.“ Bei Instagram hingegen reagieren Leser nur mit einem Herz. „Die Plattform wird mit schönen Fotos verbunden. ­Selten nimmt sich jemand Zeit, ausführliche Kommentare zu schreiben.“ Meinungsverschiedenheiten bleiben daher in der Regel aus.

Nicht nur ein erhöhter Stresspegel steigere bei Mitgliedern sozialer Medien Aggressivität. Kaczinski sagt, dass Anonymität ebenfalls eine Rolle spiele: „Sie bringt Menschen dazu, Dinge zu tun, die sie sonst nicht machen würden.“ Mitglieder von Netzwerken verstecken sich hinter Decknamen, sodass andere nicht wissen, mit wem sie gerade schreiben. Auch Menschen, die ihren Namen auf den Plattformen in ihren Profilen angeben, hätten dennoch das Gefühl, unbemerkt zu bleiben. Nur die Empfindung von Anonymität reiche aus, Aggressionen auszuleben, so Kaczinski. Aus der vermeintlichen oder tatsächlichen Anonymität heraus lasse sich Aggressivität viel leichter erleben. Einige übertragen ihr Online-Verhalten auch auf ihr wirkliches Leben.

Wichtig sei es, die Medienkompetenz der Menschen zu fördern, erklärt Kaczinski. Nachrichten sollen nicht einfach als wahr angenommen werden, weil sie in sozialen Medien verbreitet werden. Es sei wichtig, dass Nutzer erkennen können, welche Informationen richtig sind. Bereits in der Schule sollen daher Kinder und Jugendliche den richtigen Umgang mit Medien lernen, aber an ältere Internetanwender müsse ebenso gedacht werden.

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