Richterspruch mit Augenmaß

Das mit großer Spannung erwartete Urteil gegen den „Wikileaks“-Informanten Bradley Manning ist eine Schlappe für die US-Regierung – und ein Sieg für die Demokratie. Richterin Denise Lind stellte sich tapfer dem Versuch entgegen, ein Exempel zu statuieren.

Sie ließ den schwerwiegendsten Vorwurf der "Feindeshilfe" fallen. Alles andere hätte die Aufdecker von Skandalen speziell im Bereich der nationalen Sicherheit gewiss massiv abgeschreckt.

Wer vertuschte Massaker oder die Misshandlung von Gefangenen aus Gewissensnot an die Presse weitergibt, braucht künftig nicht zu fürchten, wegen "Zusammenarbeit mit dem Feind" vor den Kadi gezerrt zu werden. Das Militärgericht setzte in Fort Meade einen Präzedenzfall, der die Regierung davon abbringen dürfte, den seit dem Bürgerkrieg nicht mehr bemühten Tatbestand zu behaupten. Schon gar nicht gegen "Whistleblower".

Die Richterin bewies Augenmaß und stellte die Kinderlogik der Staatsanwaltschaft vom Kopf auf die Füße. Demnach reicht es nicht aus, jemanden, der vertrauliche Informationen zur Veröffentlichung weitergibt, zum Kollaborateur abzustempeln - nur weil die Informationen auch von Terroristen im Internet gelesen werden können. Im konkreten Fall deutete in der Kommunikation zwischen Manning und "Wikileaks" tatsächlich nichts darauf hin, dass der Geheimdienst-Analyst die Intention hatte, irgendeinem erklärten Feind der USA zu helfen.

Anders als eine Niederlage kann die Regierung den Ausgang des Prozesses nicht werten. Sie hatte schließlich allein deshalb auf dem Verfahren bestanden, um den schmächtigen Gefreiten wegen "Feindeshilfe" ein Leben lang hinter Gitter zu schicken.

Um keinen falschen Eindruck zu erwecken - das Urteil ist weder ein Freispruch, noch ist Bradley Manning ein Held. Er hat ungeprüft und ohne jede weitere Kontrolle 700 000 Dokumente weitergegeben und damit auch Menschenleben gefährdet. Weniger wäre mehr gewesen. Dafür verdient er eine Strafe. Es bleibt zu hoffen, dass die Richterin bei der Festlegung des Strafmaßes dieselbe Unabhängigkeit beweist wie bei der Urteilsfindung.

Einer wird aus dem fernen Moskau den Ausgang des Verfahrens ganz besonders aufmerksam verfolgen. Liefert das Militärgericht dem NSA-Geheimnisaufdecker Edward Snowden doch einen Vorgeschmack auf das, was ihn erwartet, sollte er jemals wieder einen Fuß auf amerikanischen Boden setzen. Sein Fall ist anders gelagert, weil er sehr viel gezielter Informationen öffentlich machte als Manning. Vergleichbar sind die überzogenen Vorwürfe der US-Regierung. An der Strafe wird Snowden ablesen können, ob sich das Risiko lohnt, in die Heimat zurückzukehren.

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