Große Koalition SPD will Union nicht aus der Patsche helfen

Berlin · Nach dem Jamaika-Aus wollen die Sozialdemokraten zwar mit allen reden, lehnen eine neue große Koalition jedoch weiter ab.

SPD-Chef Martin Schulz gibt am 20.11.2017 in der Parteizentrale in Berlin ein Statement zu den gescheiterten Sondierungsgesprächen der Jamaika-Koalition ab.

SPD-Chef Martin Schulz gibt am 20.11.2017 in der Parteizentrale in Berlin ein Statement zu den gescheiterten Sondierungsgesprächen der Jamaika-Koalition ab.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Nach der denkwürdigen Jamaika-isch-over-Nacht dauert es nur ein paar Stunden, bis Martin Schulz das Staatsoberhaupt an der Strippe hat. Frank-Walter Steinmeier muss auch nicht lange nach der Nummer fragen. Schließlich kennen und duzen sich die Genossen seit Jahrzehnten. Doch nun nehmen sie zwei unterschiedliche Rollen ein.

Bundespräsident Steinmeier muss schauen, wie Deutschland nach dem Abgang der FDP aus den Sondierungen handlungsfähig bleibt. Schulz hat plötzlich wieder eine Groko-Debatte am Hals, die die Partei nach der Wahl vor acht Wochen zunächst hinter sich wähnte. Steinmeier und Schulz verabreden sich, am Mittwoch Auge in Auge über Minderheitsregierung, Neuwahlen, staatspolitische Verantwortung und so weiter zu reden.

Der SPD allerdings unterläuft dann ein diplomatisches Foulspiel. Noch bevor der Bundespräsident nach seinem Gespräch mit der Kanzlerin die Chance erhält, alle Parteien bei der Ehre zu packen, miteinander zu reden und mögliche Einigungen auszuloten, preschen die Genossen mit ihrem Beschluss vor, keine große Koalition einzugehen und auf Neuwahlen zu setzen.

Aber der Reihe nach. Montag, 14 Uhr, im Willy-Brandt-Haus. Mit strammen Schritten marschiert SPD-Chef Schulz auf das Pult vor zu. Der 61-Jährige ist konzentriert. Die Sätze sitzen. Keine Spur dieser Gereizt- und Unsicherheit, die Schulz während des Wahlkampfes und danach an den Tag legte.

In der Parteispitze wird nach dem FDP-Hammer durchaus lebhaft diskutiert, wie die SPD auf das Ende der Jamaika-Sondierungen reagieren soll. Johannes Kahrs vom konservativen Flügel warnt vor zu schnellen Festlegungen und meint, die SPD solle erst einmal im Spiel bleiben. Kein Geheimnis ist, dass Sigmar Gabriel liebend gerne weiter mit der Union regieren und Außenminister bleiben würde. Doch der Ex-Parteichef, mittlerweile einer der härtesten Kritiker seines früheren „Freundes“ Schulz, wird nicht gefragt. Der Goslarer ist weit weg in Südostasien.

So ist die Linie in den Gremien überraschend schnell klar. Die SPD müsse zum jetzigen Zeitpunkt zum Gang in die Opposition stehen. Alles andere würde die Glaubwürdigkeit der auf 20,5 Prozent abgestürzten Genossen wohl vollends ruinieren. Einstimmig winken Präsidium und Vorstand also einen von Schulz vorgelegten Beschluss durch – keine erneute GroKo.

Von einer Brüskierung des Bundespräsidenten will Fraktionschefin Andrea Nahles nichts wissen. Aber es sei doch lächerlich, jetzt die SPD an ihre Verantwortung zu erinnern, nachdem Merkel und die FDP Jamaika vor die Wand gefahren hätten. Die SPD werde reden, aber Merkel müsse ihre Probleme selbst lösen: „Jetzt, wo die selbstverschuldete Not groß ist, da sind wir gut als staatsmännische Reserve: das ist nicht unsere Haltung.“

Ändert die SPD ihre Haltung, falls die Union Merkel abserviert? Schulz weicht dieser Frage aus. Dieses Szenario hatte der damalige Fraktionschef Thomas Oppermann nur fünf Tage nach der Bundestagswahl im Fernsehen ausgebreitet: „Das wäre in der Tat eine neue Situation.“

Vieles ist nun denkbar. Eine Tolerierung einer Merkel-Minderheitsregierung will die SPD keinesfalls mitmachen. Dafür sei die Lage in Europa zu ernst. Also zwingend Neuwahlen? Die mächtige SPD-Linke orakelt, „alle Möglichkeiten jenseits dieser Option“ müssten sorgfältig geprüft werden. „Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass ein Kanzler CDU oder CSU angehören muss oder überhaupt aus den Reihen des Parlaments zu kommen hat. Schwierige Zeiten erfordern den Mut, neue Wege in Betracht zu ziehen“, sagt SPD-Linke-Chef Matthias Miersch.

Neuwahlen aber muss die SPD genauso fürchten wie die zerstrittene Union. Die Partei befindet sich im Zustand der Lähmung. Schulz kämpft nach einer verkorksten Kampagne und teils unglücklicher Personalentscheidungen um seine Autorität. Viele Papiere wurden geschrieben, der Erneuerungsprozess hat gerade erst begonnen. Eigene Mehrheiten jenseits der Union sind nicht in Sicht. Und was wäre, wenn die SPD bei einer Neuwahl wieder auf nur 20 Prozent kommt – die Groko-Frage wird sie nicht mehr los.

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