Heil-Vorstoß Die umstrittene Grundrente und ihre historischen Vorbilder

Berlin · Die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene Grundrente bleibt umstritten. Auch der Koalitionsausschuss von Union und SPD am Mittwochabend brachte keine Einigung. In der Debatte geht es hoch her.

Manche Fakten werden ignoriert. Zum Beispiel, dass die Idee so neu nicht ist.

Das Beispiel der Regierung unter Helmut Kohl (CDU): 1989 wurde im Rahmen eines Rentenreformgesetzes von der damaligen Bundesregierung aus Union und FDP die sogenannte Rente nach Mindestentgeltpunkten beschlossen. Sie gilt für Rentenversicherungszeiten vor dem Jahr 1992. Wer insgesamt auf mindestens 35 Jahre rentenrechtliche Zeiten kommt und wenig verdient hat, dem wird nach dieser Bestimmung die Rente ohne Bedürftigkeitsprüfung so weit aufgestockt, als hätte er 75 Prozent des Durchschnittslohns erhalten. Aber nur für die vor 1992 liegenden Arbeitsjahre. Diese Regelung ist bis heute in Kraft. Ende 2017 gab es rund 3,6 Millionen Renten mit einer entsprechenden Aufstockung.

Nun liegt es in der Natur der Sache, dass die „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ tendenziell an Bedeutung verliert. Eines Tages wird es überhaupt keine Neurentner mehr geben, deren Arbeitsbiografie vor 1992 begann. Durch Heils Grundrenten-Pläne wird die Regelung nun gewissermaßen neu belebt. Nach seinem Konzept müssen Geringverdiener ebenfalls mindestens 35 Beitragsjahre vorweisen, um einen Rentenzuschlag ohne Bedarfsprüfung zu erhalten. Maßstab dafür sollen allerdings nicht 75, sondern sogar 80 Prozent des Durchschnittslohns sein.

Die Debatte um die „Abbruchkante“: In der Union wird nun eine Gerechtigkeitslücke beklagt: Wer weniger als 35 Jahre „Grundrentenzeiten“ habe, der gehe völlig leer aus. Das ist die sogenannte Abbruchkante. Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft rechnete gestern vor, dass knapp sechs Millionen Renten in Deutschland auf einem Durchschnittslohn von unter 80 Prozent basieren, aber gut die Hälfte davon auf weniger als 35 Beitragsjahren. Sie hätten nichts von Heils Plänen.

Das Beispiel der „Rente nach Mindesteinkommen“: Die Regelung wurde 1972 unter der damaligen Bundesregierung aus SPD und FDP beschlossen und galt bis 1992. Demnach genügten bereits 25 Versicherungsjahre, um seine Rente so aufgestockt zu bekommen, als habe man 75 Prozent des Durchschnittslohns erzielt. Das könnte auch heute eine Lösung sein: So könnte die Grundrente schon bei weniger Versicherungsjahren zum Zuge kommen, aber in diesem Fall mit deutlich geringeren Aufschlägen. Heil sprach bereits davon, einen gleitenden Übergang einbauen zu wollen, was die Sache freilich teurer macht.

Bedürftigkeitsprüfung: Heils Verzicht darauf ist der größte Kritikpunkt der Union. Demnach würde einer Zahnarztgattin mit geringen Einzahlungen die Mindestrente genauso zustehen wie einer alleinstehenden Friseurin, die immer zum Mindestlohn geschuftet hat. Allerdings hätte die Union dann auch bei ihrem Prestige-Projekt, der verbesserten Mütterrente, auf eine Prüfung sonstiger Einkommen und Vermögen pochen müssen. Sie tat es aber nicht, obwohl klar sein dürfte, dass viele Mütter den Rentenaufschlag gar nicht nötig haben. Als Kompromiss wird derzeit diskutiert, kein Wohneigentum beim Anspruch auf die Grundrente zu berücksichtigten. So ist es auch schon im Koalitionsvertrag formuliert.

Für ein Problem gibt es kein Vorbild: Vor der Grundrente nach dem Heil-Modell sind Teilzeit- und Vollzeitarbeiter im Prinzip gleich, was auch viele Bürger als ungerecht empfinden mögen. Die Rentenversicherung bekommt nämlich nur die Höhe der Bruttolöhne für die Berechnung der Altersbezüge übermittelt. Wie sie zustande kamen, weiß sie nicht.

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