Revolutionär der deutschen Küche

München · Er zog gegen Kochkonventionen zu Felde und gilt als einer der besten Köche der Welt: Eckart Witzigmann wird 75 Jahre alt. Für gutes Essen und Nachhaltigkeit wirbt er nach wie vor.

Er kochte für die Reichen und Mächtigen - und verhalf der Nouvelle Cuisine zum Durchbruch. Als erster Koch im deutschsprachigen Raum bekam Eckart Witzigmann drei Michelin-Sterne, Prominente speisten bei ihm. Inzwischen greift er nicht mehr selbst zum Kochlöffel - sondern gibt sein Wissen weiter. Ein Kochbuch für wenig Betuchte mit günstigen Gerichten zählt ebenso zu seinen Projekten wie einfache Rezepte für Lehrlinge und eine spezielle Kost für Krebspatienten - per App zum Herunterladen. In der globalen digitalisierten Welt müsse man anders an Themen herangehen. "Das gilt auch für die Küche." Am heutigen Montag wird Witzigmann 75 Jahre alt.

Schneider hätte er eigentlich werden sollen. 1941 geboren und im österreichischen Ferienort Bad Gastein aufgewachsen, sollte er das Handwerk lernen, genau wie sein Vater. Doch schon als Junge wusste er, dass er Koch werden wollte. Nach der Lehre lernte er 13 Jahre im Ausland: bei dem französischen Spitzenkoch Paul Bocuse, bei Paul Haeberlin, Roger Vergé und den Brüdern Troisgros.

Als Chefkoch des Münchner Nobellokals "Tantris" begann er 1971 gegen die deutsche Hausmannskost anzukochen. Anstelle fetter Soßen und dicker Knödel wollte er eine neue Küche: Nouvelle Cuisine - zart betonter Eigengeschmack frischer Produkte. Doch erst einmal hagelte es Kritik, Gäste reklamierten.

Witzigmann, dessen Schüler inzwischen vielfach selbst mit Sternen dekoriert sind, blieb jedoch bei seiner Linie. 1978 eröffnete er das legendäre Münchner Edellokal "Aubergine" und bekam 1979 drei Sterne vom französischen "Guide Michelin ". Das sei einer der größten Glücksmomente gewesen, sagte er einmal, nicht ohne zu relativieren: Das größte Glück sei freilich die Geburt seiner Kinder gewesen. 1994 verlieh ihm der Gourmet-Führer "Gault Millau" den Titel "Koch des Jahrhunderts". Kurz zuvor war er anderweitig in die Schlagzeilen geraten: 1993 wurde er wegen Kokainbesitzes und -konsums zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er verlor daraufhin die Konzession für das "Aubergine".

Witzigmann kochte für Königin Elisabeth II. und Prinz Philip, König Hassan von Marokko und den Maharadscha von Jaipur, für Michail Gorbatschow und George Bush , für Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer und Rennfahrer Niki Lauda . Es geht ihm nicht nur um feine Küche. Die Herkunft der Lebensmittel war ihm schon vor Jahrzehnten wichtig. Ständig wechselnde Lebensmittelskandale machten die Frage noch drängender. In dem Projekt "Die kulinarischen Erben der Alpen" engagiert er sich auch für traditionelle Lebensmittel und Arten, die heute kaum noch jemand kennt: Älplerschokolade, die Berner Zungenwurst, Dörrkastanien, das Sulmtaler Huhn oder ursprüngliche Rassen wie das Evolener Rind.

Gerade berät Witzigmann die Betriebsgastronomie eines Autoherstellers für regionales, saisonales Essen. "Und wissen Sie was? Das Konzept kommt an. Sie verkaufen mehr Essen als gedacht. Die Mitarbeiter sind sogar bereit, etwas mehr zu bezahlen als üblich."

Auch wenn er "geschäftlich" nicht mehr kocht: "Privat zieht es mich immer noch an den Herd, ich probiere heute immer noch Neues aus oder versuche, Altes zu optimieren." Seine Lebenspartnerin komme hier immer mehr an ihn heran. "Da könnte ich mir schon vorstellen, dass ich in der Küche irgendwann nur noch Zuschauer und Konsument bin."

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