Von der Flüchtlingsdebatte bis zur Causa Scholdt: „Saarbrücker Hefte“

Saarbrücken · Die saarländische Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft vereint in ihrer jüngsten Ausgabe ebenso Streitbares wie Hintergründiges.

Groß war die Aufregung, als die "Saarbrücker Hefte" im Juli 2015 im Dudweiler Literaturarchiv einen Beitrag über vermeintlich antisemitische Tendenzen von Ex-Archivleiter Günter Scholdt ankündigten. Aus dem Publikum ward der Vorwurf laut, man plane einen "Rufmord". Nun lässt sich der damals annotierte Artikel in den neuen "Heften" nachlesen, geschrieben vom Saarbrücker Historiker und Promotionsstudenten Nicolas John Williams. Nachdem er erst die Genese der 20 Jahre währenden "Hefte" -Auseinandersetzung mit Scholdt nachzeichnet, deutet er die Stoßrichtung seiner Kritik an: Scholdt wolle stets "Ankläger, Angeklagter und Richter zugleich" sein. Und der Antisemitismus-Vorwurf?

Williams' Belege bleiben hier unscharf. Er behauptet zwar, Scholdts Buch "Vergesst Broder. Sind wir immer noch Antisemiten?" sei in "vielerlei Hinsicht eine Selbstentlarvung", stichfeste Beweise legt er jedoch nicht vor. Zumindest taugen die angeführten Zitate kaum zur Untermauerung seines Vorwurfs. Stringenter geriet 2012 in den "Heften" Julian Bernsteins Desavourierung von Scholdts bedenklicher Gesinnung unter dem Titel "Das braune Prinzip". Liest man Scholdts Broder-Erwiderung nach, alarmiert bereits der Einstiegssatz: ",Vergesst Auschwitz!' Donnerwetter! Welch berauschende Devise!" Im Weiteren aber zeigt sich keine offen antisemitische Ausrichtung. Auch wenn Scholdt bekennt, "den penetranten Auschwitz-Boom abstoßend zu finden", er angebliche "Reue-Exerzitien" verhöhnt und den Deutschen "kollektive ,Verhausschweinung'" attestiert. Unstrittig ist, was auch Williams herausstellt, dass der Saarbrücker Germanist Teil der "Neuen Rechten" ist, was bereits die Publikation seiner jüngeren Schriften in Götz Kubitscheks einschlägig bekanntem "Antaios-Verlag" zeigt.

Erhellender als Williams' Scholdt-Abrechnung ist der zentrale Text der neuen "Hefte", in dem Ekkehart Schmidt eine ebenso kluge wie differenzierte Bilanz der Flüchtlingsdebatte zieht, die seit einem Dreivierteljahr alles andere in den Schatten rückt. Ausgangspunkt seiner Analyse ist jener "Paradigmenwechsel zwischen eiskalter Abschottung und warmherziger Aufnahme" im Deutschland des Spätsommers 2015, als in einer zivilgesellschaftlichen Umarmungsgeste beispiellosen Ausmaßes die Deutschen ihr Herz für Flüchtlinge entdeckten und die Kanzlerin eilig nachzog. Mit der Kölner Silvesternacht endete dieses "Sommermärchen" so abrupt wie es begonnen hatte. Wie erklärt sich dieser Umschwung von Gleichgültigkeit erst in Empathie und dann wiederum von "Gutmenschentum" in Ernüchterung und Abwehr? Schmidt, der sich im Saarland längere Zeit mit Migrationsfragen beschäftigt hat, fängt die in Wahrheit schon vor und nach diesen Stichtagen auszumachenden "Polarisierungen" und sozialpsychologischen Dynamisierungen der Flüchtlingsdebatte gut ein: "Jede Gruppe lebt in ihrer weltanschaulichen Informations- und Bewertungsblase."

Weitere Texte widmen sich dem Rechtsextremismus im Saarland und der Verharmlosung der NS-Vergangenheit von Ex-CDU-Ministerpräsident Franz Josef Röder in einer Biografie des Historikers Heinrich Küppers. Ihr "Fenster nach Frankreich" öffnen die "Hefte" diesmal, um den Blick auf den elsässischen Partikularismus des späteren französischen Kulturministers André Malraux zu lenken und um Hans Emmerling erhellende Ausfahrten in Lothringens Historie zu eröffnen. Literarisches von Arnfrid Astel, Ralph Schock und Yvonne Lachmann beschließen die von Stefanie Zofia Schulz' vielsagenden Fotografien aus dem Lebacher Flüchtlingslager illustrierten "Hefte".

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