Jahresrückblick 2019 Die Talfahrt der Weltwirtschaft

2019 war ein Jahr des zähen Ringens, der wütenden Tweets, der Spirale immer höherer Zölle und des Stellenabbaus. Ein Wort thront wie kein anderes über dem vergangenen Jahr: Unsicherheit.

Dass Handelskriege leicht zu gewinnen seien, posaunte US-Präsident Donald Trump noch zu Beginn des Konflikts mit China vor rund eineinhalb Jahren. Doch die chinesische Regierung besteht auf „Ebenbürtigkeit“ und hat sich bislang dem von Trump gewünschten umfassenden Handelsabkommen verweigert. Auch wenn er im November dieses Jahres noch tönte: „China wird einen Deal machen müssen, den ich mag. (...) Wenn wir keinen Deal mit China machen, erhöhe ich die Zölle nur noch weiter.“ Inzwischen verkündete Trump eine Teil-Einigung. Die US-Regierung rechnet mit einer Unterzeichnung in der ersten Januarwoche. Ob es dazu tatsächlich kommt? Unsicher. Auch weil sich China darüber echauffiert, dass der US-Präsident Ende November ein Gesetz zur Unterstützung der Demokratiebewegung in Hongkong in Kraft gesetzt hat.

Nicht nur China, auch Europa hat in diesem Jahr die Sonderzollwut des US-Präsidenten zu spüren bekommen. Als Reaktion auf europäische Subventionen für den Flugzeugbauer Airbus haben die USA Ende Oktober Strafzölle unter anderem auf Wein aus Deutschland, Parmesan aus Italien, Olivenöl aus Spanien erhoben. Und nicht nur hier hat Trump gezündelt und Öl in die Flamme der Verunsicherung gegossen. Im Mai dieses Jahres hatte Washington sechs Monate Aufschub für eine Entscheidung über die Einführung von Sonderzöllen auf Auto-Importe gewährt. Diese Frist ließ Trump im November zwar verstreichen. Doch Experten sind sich uneinig, ob das Thema damit vom Tisch ist. Brüssel könnte mit neuen Zöllen reagieren. Das wiederum könnte Trump zum Vergeltungsschlag ermuntern – und eine ähnliche Spirale wie mit China wäre in Gang gesetzt. Mit Folgen: Denn die USA und die EU haben 2018 Waren und Dienstleistungen in Höhe von fast 1,3 Billionen US-Dollar ausgetauscht. Und auch wenn es schwer vorstellbar ist, dass Trump im Wahljahr 2020 einen solchen Konflikt vom Zaun bricht, sicher ist das nicht.

Die Auszeichnung für den größten Hickhack geht jedoch auch 2019 an Großbritannien. Ende Januar will der frisch im Amt bestätigte Premier Boris Johnson seinen Wahlkampfslogan „Let‘s get Brexit done“ wahr werden lassen. Schon im Vorfeld des Ausstiegs Großbritanniens aus dem Staatenbund haben sich mindestens 332 Unternehmen aus der britischen Banken- und Finanzwelt verabschiedet und sich andernorts angesiedelt. Das hat eine Studie der Londoner Denkfabrik New Financial kürzlich ergeben.

Die internationalen Handelskonflikte und die andauernde Bre­xit-Hängepartie haben vor allem Unternehmen belastet, die viel ins Ausland liefern. Der Welthandel schwächelt, denn versunsicherte Kunden halten sich mit Bestellungen zurück. Dadurch gehen auch bei Industrieunternehmen weniger Aufträge ein. Die Folge: Die Produktion muss heruntergefahren werden. Der Industrieverband BDI rechnet damit, dass die Industrieproduktion in Deutschland 2019 um insgesamt vier Prozent geschrumpft ist.

Der Internationale Währungsfonds hat seine Wachstumsprognosen im laufenden Jahr stetig nach unten korrigiert. Letztlich gingen die Experten von einem weltweiten Wachstum von drei Prozent aus. Deutschland ist im letzten Quartal mit 0,1 Prozent Wachstum nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt. Insgesamt wird hier letztlich ein Wachstum von 0,5 Prozent erwartet.

Bislang hat der deutsche Arbeitsmarkt der Konjunkturflaute getrotzt, auch wenn sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit gegen Ende des Jahres verlangsamt hat. Dennoch zeigte sich der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, zuversichtlich: „Wir gehen davon aus, dass es keine konjunkturelle Krise, sondern eine Delle ist.“

Die Abkühlung der Konjunktur könnte vor allem Banken vor Probleme stellen. Nämlich dann, wenn Kunden ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Die Kreditinsitute sind ohnehin 2019 von Niedrigzinsen gebeutelt. Die Europäische Zentralbank hat die Negativzinsen weiter angehoben. Statt 0,4 Prozent müssen Banken seit September 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie überschüssiges Geld bei der Notenbank parken. Einige sind dazu übergegangen, Minuszinsen an die Kunden weiterzugeben. Vorerst geplatzt ist früh in diesem Jahr der Traum vom „nationalen Champion“. Sechs Wochen lang haben Deutsche Bank und Commerzbank über eine Fusion verhandelt. Ergebnis: Zu teuer, zu langwierig, zu riskant. Die Alternative: Stellenabbau, Filialschließungen, Konzernumbau. Bei der Deutschen Bank stehen bis 2022 weltweit 18 000 Stellen auf dem Spiel, die Commerzbank will über 200 Filialen schließen.

Doch in keiner anderen Branche ist 2019 die Verunsicherung merklicher zu spüren gewesen als in der Autoindustrie. Die Politik will weg vom Verbrenner und forciert einen raschen Umbruch. Bisher sind E-Autos für Verbraucher aber zu teuer und zu unpraktisch. Denn noch immer ist das Ladenetz dünn. Um E-Fahrzeuge massentauglich zu machen, beschloss die Regierung Mitte des Jahres höhere und längere Kaufprämien. Bis Ende 2025 wird der „Umweltbonus“ angeboten, die Industrie zahlt die Hälfte. Der Umschwung hat dennoch einen saftigen Preis. Elektroantriebe haben deutlich weniger Komponenten als Verbrennungsmotoren – es fällt weniger, dafür aber hoch spezialisierte Arbeit an. Zwar haben viele Firmen, um die Mitarbeiter von der alten in die neue Welt mitzunehmen, Qualifikationsprogramme aufgelegt. Parallel aber in der klassischen Verbrennerproduktion den Rotstift angesetzt. Audi hat im November angekündigt, bis 2025 in Deutschland 9500 Stellen abzubauen, im Gegenzug sollen nur 2000 Arbeitsplätze in Bereichen wie E-Mobilität und Digitalisierung neu entstehen. Betriebsbedingte Kündigungen soll es nicht geben.

Eine der größten Hiobsbotschaften kam im November von Daimler. Dort wird ein Sparprogramm in den kommenden drei Jahren weltweit Tausende Arbeitsplätze kosten. Gestrichen werden mindestens 10 000 Stellen. Zur selben Zeit protestierten bei Continental Beschäftigte gegen das mögliche Aus für Kollegen, die den Wandel von Hydraulik zu Elektronik nicht mitmachen können oder wollen. Bis 2023 könnten die Umstrukturierungen bei Conti 15 000 Arbeitsplätze betreffen, 5000 davon in Deutschland. Und bereits seit Oktober steht fest, dass auch Bosch viele Stellen kappt. Bis Ende 2022 mehr als 2000 in Deutschland.

Die Flaute hinterlässt auch Spuren in anderen Branchen. So erwartet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform erstmals seit dem Krisenjahr 2009 im nächsten Jahr wieder einen Anstieg der Firmenpleiten. „Die konjunkturelle Abschwächung in Deutschland macht sich zunehmend in der Insolvenzstatistik bemerkbar“, stellte Creditreform-Hauptgeschäftsführer Volker Ulbricht kürzlich fest. Für 2020 rechnet er mit 19 800 Firmenpleiten nach geschätzt 19 400 in diesem Jahr.

Der jahrelange Aufschwung in Deutschland ist also vorerst beendet. Die Abkühlung des Welthandels und die Brexit-Hängepartie haben vor allem die exportorientierte Industrie gebremst. Daran dürfte sich auch 2020 zunächst nicht viel ändern. „Es wird ein schwieriges Jahr. Dem wird sich auch Deutschland nicht entziehen können“, sagt Uwe Burkart, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg, voraus. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, umgangssprachlich die fünf Wirtschaftsweisen genannt, erwartet frühstens im Jahresverlauf 2020 eine Belebung der Konjunktur.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort