Fabrik des Sterbens

Der oscarprämierte ungarische Film „The Son of Saul“ erzählt vom Leben im Konzentrationslager Auschwitz. Der Jude Saul versucht, den Leichnam eines Jungen, in dem er seinen Sohn zu erkennen glaubt, vor der Verbrennung zu bewahren. SZ-Mitarbeiter Dieter Oßwald sprach mit Regisseur László Nemes über den beklemmenden, erzählerisch eigenwilligen Film.

 Saul (Géza Röhrig) versucht, den Massenmord in Auschwitz zu überleben.

Saul (Géza Röhrig) versucht, den Massenmord in Auschwitz zu überleben.

Foto: Sony

Es gibt etliche filmische Auseinandersetzungen mit den Konzentrationslagern der Nazi-Zeit. Was hat Sie zu einem weiteren Film darüber bewogen?

Nemes: Ich war völlig enttäuscht von den Ansätzen dieser anderen Filme. Ich will ein authentisches Bild zeichnen, das unaufdringlich ist und sich auf eine einzelne Figur beschränkt.

Was stört Sie an den bisherigen Filmen über den Holocaust?

Nemes: Sie zeigen zu viel und sie erzählen zu viel. Wir wollten nicht die Geschichte eines Überlebenden erzählen, wir zeigen das KZ als Todesfabrik. Eine Fabrik, in der die Opfer zur Arbeit gezwungen wurden und die Täter gemordet haben. An diesem Ort, wo alle Humanität verloren ist, spielt sich ein archaisches Drama ab: Der Held versucht, allen Widrigkeiten zum Trotz, sich menschlich zu verhalten.

Sie belassen die Opfer in der Unschärfe der Kamera - kann man das Unfassbare nicht zeigen?

Nemes: Dieser Schrecken soll der Vorstellungskraft des Zuschauers vorbehalten bleiben. Jedes konkrete Bild würde das Ausmaß dieses Schreckens begrenzen. Eine traditionelle Inszenierung würde dem Grenzen setzen und den Zuschauer emotional entlasten.

In einer Szene, als die Opfer in die Gaskammer getrieben werden, verspricht ihnen eine Durchsage: "Nach dem Duschen wartet eine heiße Erbsensuppe auf euch." Gab es solche Ansagen tatsächlich, wie authentisch ist Ihre Darstellung?

Nemes: Solche Durchsagen hat es gegeben, Zeitzeugen haben sie überliefert. Dasselbe gilt für die Todesschreie der Verzweifelten, die durch die Gaskammern nach außen drangen. Im Unterschied zur Realität, wo diese Schreie ständig zu hören waren, vernimmt man sie bei uns nur kurz, sonst würde sich das Publikum daran gewöhnen.

Die Hauptfigur ist im Film selten in ganzer Größe zu sehen, meist zeigen Sie ihn von der Hüfte aufwärts. Weshalb?

Nemes: Saul blendet den Horror aus, weil er ohne diese Distanz gar nicht überleben könnte. Diesen Tunnelblick vollziehen wir mit der Kamera nach.

Ihr Film wurde staatlich finanziert, die aktuelle ungarische Regierung steht nicht für Toleranz und Liberalität. Welchen Einfluss hat es gegeben?

Nemes: Keinen. Die staatliche Förderung unseres Films ist ein Zufall, weil wir in ganz Europa niemanden gefunden haben, der uns finanzieren wollte. Alle haben das Risiko gescheut. Der ungarische Filmfonds trifft seine Entscheidungen nach professionellen Erwägungen, politischen Einfluss gibt es dort nicht - bislang jedenfalls nicht.

Der Film läuft ab morgen im Saarbrücker Filmhaus.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort