Wie Hühner im Saarland leben

Schmelz/Obersalbach · Erst am Donnerstag hat die Bundesregierung angekündigt, das umstrittene Kükenschreddern abschaffen zu wollen. Doch das ist nur ein Aspekt des großen Themas Hühnerhaltung und Eierproduktion. Wir haben uns im Saarland umgesehen.

 Auf dem Bio-Geflügelhof Zenner in Heusweiler-Obersalbach können die Hühner ihren Stall verlassen und im Freien rumspazieren. Fotos: Rich Serra

Auf dem Bio-Geflügelhof Zenner in Heusweiler-Obersalbach können die Hühner ihren Stall verlassen und im Freien rumspazieren. Fotos: Rich Serra

Außer dem Wind, der vorbeizieht, ist kein Geräusch zu hören. Auf dem Platz inmitten des Geflügelhofs Wittmer in Schmelz ist alles ruhig. Rundherum stehen mehrere langgezogene Hallen. Geht es auf eine dieser Hallen zu, ganz nah heran, dringt es plötzlich doch ans Ohr: ein gedämpftes Gackern. Durch die Eingangstür geht es hinein in die Halle, durch eine zweite, eine dritte Tür - und es wird laut: Auf einmal sind da überall Hühner. Durch ein Gitter schaut der Besucher in den Stall hinein, auf die Bodenfläche, auf der hunderte, vielleicht tausende weißer Tiere herumwuseln. Ihre roten Kämme und Kinnlappen heben sich wie kleine Farbtupfer von der Masse ab. Neben der Bodenfläche steht eine mehrstöckige Voliere, in der die Hennen automatisiert mit Futter und Wasser versorgt werden.

Auch dort ist viel los, wie Zuschauer beobachten die Hühner auf ihren Sitzstangen das rege Treiben auf dem Boden. Knapp 6000 Tiere leben hier zusammen. Auf der anderen Seite der Halle die gleiche Konstruktion, ebenfalls bevölkert von 6000 Hühnern. Draußen ist hellichter Tag, doch die Sonne kann sich durch die kleinen Tageslicht-Blenden an den Wänden nicht gegen das Kunstlicht im Stall durchsetzen.

Gerade erst hat die Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch einen Bericht über die Legehennen-Haltung mit dem programmatischen Titel "Ich wollt', ich wär' kein Huhn" veröffentlicht. Der Tenor: Federpicken, Kannibalismus , Krankheiten - das alles sei in deutschen Ställen keine Seltenheit. Und in saarländischen?

Sieglinde Kraemer, Betreiberin des Geflügelhofs Wittmer, öffnet die letzte Gittertür zum Stall, zu den 6000 Hühnern, und sagt: "Gehen Sie ruhig rein." Sieglinde und ihr Mann Franz Kraemer ärgern sich über den Foodwatch-Bericht. Über die Vorwürfe, dass Hühnerhalter nicht auf ihre Tiere achtgeben. Über die Horrorbilder von toten und gequälten Tieren, die man oft im Fernsehen sieht. Deshalb laden sie ein, jeder Interessierte kann - nach vorheriger Anmeldung - mal in einen Stall reinschauen.

Kraemers Hennen sehen ordentlich aus, keine Spur von Federpicken oder Kannibalismus . Auch keine toten Tiere zwischen den lebendigen. Keine Horrorbilder. Lisa Wittmann von der Tierschutz-Organisation Peta äußert Zweifel. Landwirte zeigten gerne hergerichtete "Show-Ställe" vor. Auch bei Foodwatch heißt es, tote Tiere könnten ja vor einer Begehung aufgesammelt werden. Doch auch das saarländische Agrarministerium weiß nichts von gröberen Verstößen hierzulande. Hier und da seien mal die Qualität der Einstreu, der bauliche Zustand der Stalleinrichtung oder fehlende Schutzkleidung moniert worden.

Die Hennen auf dem Geflügelhof Wittmer leben in Bodenhaltung, so wie die meisten im Saarland. Sie verbringen ihr Dasein im Stall, verlassen ihn erst nach einer oder auch mal zwei etwa einjährigen Legeperioden. Dann, wenn es zum Schlachter geht. Im besten Fall legen sie 300 Eier im Jahr. Um die Gefahr des gegenseitigen Bepickens zu reduzieren, sind ihre Schnäbel kurz nach dem Schlüpfen gekürzt worden. Eine umstrittene Praxis. Das Saarland und andere Länder wollen, dass sie bis Ende 2016 beendet wird.

Die Hennen auf Martin Zenners Hof in Obersalbach haben keine gekürzten Schnäbel. Brauchen sie auch nicht, "weil sie genug Platz haben", sagt er. Wer auf seinen Hof fährt, etwa um Eier aus dem Eier-Automaten zu ziehen, kann sich Zenners Hennen gleich ansehen - und muss dafür nicht einmal den Stall betreten. Direkt neben dem Automaten befindet sich eine Art Wintergarten, in dem sich die Hühner tummeln, wenn sie aus dem mit Tageslicht durchfluteten Stall rauswollen. Und viel Auslauf unter freiem Himmel haben die Tiere - in kleinen Grüppchen spazieren die Hennen zusammen mit einem Hahn übers Feld, und wenn dieser am Himmel einen Raubvogel erblickt, scheucht er sie schnell wieder rein. Zenner führt einen Bio-Betrieb, hat also strengere Regeln zu beachten: mehr Platz im Stall, Freilandhaltung, Bio-Futter.

Im Saarland gebe es aber auch insgesamt in der Legehennen-Haltung wenig Probleme, sagt Zenner. Die Höfe hierzulande seien schließlich alle Familienbetriebe, in denen die Inhaber noch selbst auf die Hühner aufpassen. "Familienbetrieb" bedeute aber nicht, dass die Hennen anders gehalten würden als in großen Unternehmen, sagt dagegen Peta-Aktivistin Lisa Wittmann. Die Probleme seien grundsätzlich die gleichen: zu wenig Platz und von der enormen Ei-Produktion ausgelaugte Hühner. Die Hennen von Martin Zenner legen nur rund 250 statt 300 Eier im Jahr, weil sie viel Energie im großen Auslauf lassen. Doch auch der Biobauer hält - genau wie Kraemer und praktisch alle Legehennen-Halter - sogenannte Legehybride, also auf maximale Ei-Produktion ausgelegte Hühner-Züchtungen. Foodwatch und Peta kritisieren diese Züchtungen, da die hohe Legeleistung die Tiere krank mache. "Ausgelaugt" seien seine Tiere aber nicht, versichert Zenner, auch eine zweite Legeperiode wäre mit den Hennen noch möglich.

Dass Millionen männlicher Legehybrid-Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet und zerschreddert werden, weil sie nicht zur Mast geeignet sind und ökonomisch nicht effizient verwendet werden können, missfällt freilich auch Zenner. Das saarländische Agrarministerium verweist bei diesem Thema auf laufende Forschungsaktivitäten, die sich unter anderem mit der Geschlechtserkennung schon im Ei befassen. Am Donnerstag wurde nun bekannt, dass die Bundesregierung die umstrittene Praxis ab 2017 beenden will.

Darauf hofft auch Foodwatch . In ihrem Legehennen-Bericht fordern die Verbraucherschützer außerdem eine "Tierwende". Die bestmögliche Haltungsform müsse für alle Legehennen-Halter vorgeschrieben werden, schreibt die Organisation. Franz Kraemer sagt: "Wenn es unseren Hühnern nicht gut geht, haben wir ja auch nichts davon."

 Katja und Martin Zenner mit Sohn Noah im „Wintergarten“ ihres Bio-Geflügelhofs in Heusweiler-Obersalbach.

Katja und Martin Zenner mit Sohn Noah im „Wintergarten“ ihres Bio-Geflügelhofs in Heusweiler-Obersalbach.

 Blick in eine von sieben Hühnerhallen auf dem Geflügelhof Wittmer in Schmelz. Mit insgesamt rund 50 000 Tieren ist er der größte im Saarland.

Blick in eine von sieben Hühnerhallen auf dem Geflügelhof Wittmer in Schmelz. Mit insgesamt rund 50 000 Tieren ist er der größte im Saarland.

 Sieglinde Kraemer leitet mit ihrer Familie den Geflügelhof Wittmer in Schmelz.

Sieglinde Kraemer leitet mit ihrer Familie den Geflügelhof Wittmer in Schmelz.

Zum Thema:

HintergrundIm Saarland sind 110 Legehennen-Betriebe erfasst, 26 davon mit mehr als 350 Hennen. Mit rund 50 000 Tieren ist der Geflügelhof Wittmer in Schmelz der größte. 155 000 Legehennen werden hierzulande insgesamt gehalten, davon rund 2000 in Kleingruppen-, 95 000 in Boden-, 43 000 in Freiland- und 15 000 in ökologischer Haltung. Zusammen legen diese Hennen etwa 44 Millionen Eier im Jahr - den saarländischen Verbrauch deckt das zu rund 20 Prozent. lre

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