Karlsruhe spricht Kohl Erinnerungen zu

Karlsruhe · Über 600 Stunden hat Altbundeskanzler Helmut Kohl aus seinem Leben erzählt. Doch wem gehören die Tonbänder, auf denen seine Stimme zu hören ist? Karlsruhe hat jetzt endgültig entschieden.

Die Tonbänder mit den Lebenserinnerungen von Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU ) stellen einzigartige historische Dokumente dar. Darin waren sich die Anwälte des 85-Jährigen, sein Ghostwriter Heribert Schwan und auch die Richter einig. Doch damit hörte die Gemeinsamkeit beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe auch schon auf. Seit Jahren stritten Kohl und Schwan erbittert darüber, wem die Tonbänder und damit die Lebenserinnerungen eines Mannes gehören, der die Politik dieses Landes jahrzehntelang geprägt hat. Der BGH hat gestern nun als letzte Instanz ein Machtwort gesprochen und dem kranken Altkanzler die Bänder zugesprochen (Az.: V ZR 206/14).

Über 600 Stunden lang redete Kohl in den Jahren 2001 und 2002 mit dem Journalisten über sein Leben. Schwan nahm die Gespräche auf Tonbändern auf, die er selber mitgebracht hatte. Die Aufzeichnungen sowie Handakten und andere schriftliche Unterlagen sollten Grundlage für die Memoiren Kohls sein, der von 1982 bis 1998 Kanzler war und die Wiedervereinigung maßgeblich gestaltete. Der Publizist verfasste drei Memoirenbände, in denen aber nur Kohl als Autor genannt wurde. Bei den Arbeiten zum letzten Band kam es zum Zerwürfnis. Der Altkanzler beendete die Zusammenarbeit und verlangte die Tonbänder. Die behielt der ehemalige WDR-Redakteur zunächst, musste sie dann aber doch herausgeben. Schwan sieht sich ungerecht behandelt. "Es ist einfach nicht gerecht, wenn gesagt wird, das ist das Werk Helmut Kohls", sagte er gestern. Er habe doch Fragen gestellt, das Gespräch strukturiert. "Ich werde reduziert auf den Mikrofonhalter und das ist ungerecht."

Landgericht und Oberlandesgericht Köln indes hatten Kohl recht gegeben. Der Grund waren aber nicht Überlegungen zu den geistigen Leistungen der beiden. Es ging vielmehr um die Frage, ob Kohl die Herausgabe der Bänder den Vereinbarungen zufolge verlangen konnte. Ein geschriebener Vertrag zwischen Schwan und Kohl existierte nicht - alles war über den Verlag gelaufen. Der BGH nahm jetzt ein stillschweigendes Auftragsverhältnis zwischen den beiden Kontrahenten an: Kohl sei der Chef in dieser Vertragsbeziehung gewesen. Er habe die Manuskripte jederzeit einsehen, ändern und kündigen können, sagte die Vorsitzende Richterin Christina Stresemann. "Der Kläger konnte auch entscheiden, welches Material er dem Beklagten überlässt und welches er herausverlangt", sagte sie. Das habe sich nicht nur auf schriftliche Unterlagen bezogen, sondern auch auf "Gedanken und persönliche Erinnerungen".

Schwan hatte vorgeschlagen, dass er selbst, Kohl und das Bundesarchiv je eine digitale Kopie bekämen. Dann könnten sich in 20 oder 30 Jahren Studenten oder Historiker die Bänder anhören, sagte er in Karlsruhe . Ob das je der Fall sein wird, darüber entscheiden jetzt allein Kohl und seine Angehörigen.

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