Wenn der Staat töten lässt

London · In Deutschland ist die Todesstrafe längst abgeschafft. Anderswo allerdings wurde 2015 gehenkt wie lange nicht mehr. Die meisten Hinrichtungen gehen auf das Konto von vier Staaten: Iran, Pakistan, Saudi-Arabien und China.

 Grausamer Alltag im Iran: Ein Henker bereitet den Strick für eine der 1000 Exekutionen vor. Foto: dpa

Grausamer Alltag im Iran: Ein Henker bereitet den Strick für eine der 1000 Exekutionen vor. Foto: dpa

Foto: dpa

Die Indonesierin Siti Zainab Binti Duhri Rupa musste sterben, weil sie ihren Chef getötet haben soll. Dabei kam sie viele Jahre zuvor nach Saudi-Arabien, um zu arbeiten, Geld zu verdienen. Sie wollte ein besseres Leben führen. Laut Medienberichten habe sie während des Polizeiverhörs ein Geständnis abgelegt, doch juristischen Beistand oder Unterstützung erhielt sie nicht. Gleichwohl vermuteten die Beamten, dass sie zum Zeitpunkt der Befragung unter einer psychischen Erkrankung litt. Dennoch wurde sie zum Tode verurteilt und am 14. April 2015 in der saudischen Stadt Medina hingerichtet. Die Behörden informierten weder ihre Familie noch die indonesische Regierung im Vorfeld der Exekution.

Siti Zainab Binti Duhri Rupa ist damit eine von mindestens 1634 Menschen, die im vergangenen Jahr von einem Staat getötet wurden. Das geht aus dem Jahresbericht "Hinrichtungen und Todesurteile 2015" der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hervor, der heute in London vorgestellt wird. Er belegt einen Anstieg um mehr als 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was Generalsekretär Salil Shetty als "hochgradig beunruhigend" kritisierte. Seit 1989 gab es AI zufolge nicht mehr so viele Hinrichtungen wie im vergangenen Jahr und in dieser Zahl ist China noch nicht einmal eingerechnet, wo Angaben zur Todesstrafe wie ein Staatsgeheimnis gehütet werden. Die Menschenrechtler gehen aber davon aus, dass die Volksrepublik abermals tausende Menschen exekutieren ließ und damit mehr als der Rest der Welt zusammen. "Regierungen machten 2015 schonungslos damit weiter, Menschen ihrer Leben zu berauben auf der falschen Grundlage, dass die Todesstrafe uns sicherer macht", so Shetty.

Tatsächlich hat der sprunghafte Anstieg der Exekutierten auch mit dem Erstarken des islamistischen Terrorismus weltweit zu tun, aber das ist nur einer der Gründe. So setzte Pakistan zum Beispiel im Dezember 2014 ein sechsjähriges Moratorium für die Todesstrafe aus, nachdem Taliban-Milizen eine Schule in Peshawar gestürmt und weit mehr als 100 Menschen, die meisten davon Kinder und Jugendliche, massakriert hatten. Während anfangs nur mutmaßliche Terroristen gehenkt wurden, hat die Regierung im Laufe der Monate auch wegen anderer Delikte Verurteilte hingerichtet.

Insgesamt hat Amnesty in 25 Staaten Exekutionen festgestellt. Die meisten nach China gab es im Iran, wo mindestens 977 Menschen exekutiert wurden, meist aufgrund von Drogen-Delikten, aber auch wegen Beleidigung des Propheten. Es folgen Pakistan mit 320 und Saudi-Arabien mit mindestens 158 Hingerichteten, die meisten davon starben durch Enthauptung. In dem Golfstaat herrscht zudem die Praxis, Leichen öffentlich auszustellen, kritisieren Menschenrechtler . Die drei Länder waren für 89 Prozent aller registrierten Hinrichtungen verantwortlich. Die USA, wo 28 Menschen exekutiert wurden, sind das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, das weiter die Todesstrafe praktiziert. Mit Japan sind die USA die einzige große Industrienation, die noch Todesurteile vollstreckt.

AI bezeichnete 2015 als "ein Jahr der Extreme". Denn während das Henker-Geschäft noch immer in vielen Staaten, darunter auch Indien, Irak, Ägypten und Afghanistan floriert, geben den Gegnern der Todesstrafe einige Entwicklungen Anlass zur Hoffnung. Vier Länder schafften sie endgültig ab. Kongo, Madagaskar, Surinam und die Fidschi-Inseln gehören nun zu den 102 der 193 UN-Mitglieder, die komplett auf die Todesstrafe verzichten. Damit hat sich über die Hälfte der Welt von der tödlichen Bestrafungsmethode verabschiedet. Trotz des kurzfristigen Rückschlags sei der Trend laut Shetty klar: Die Welt bewege sich weg von der Todesstrafe . "Jene Länder, die noch immer hinrichten, müssen realisieren, dass sie auf der falschen Seite der Geschichte stehen." > : Meinung

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort