Wutbürger gehen auf die Barrikaden

Paris · Sie sind gegen Feriendörfer, Bahntrassen und Staudämme: eine neue, radikale Öko-Protestbewegung erfasst Frankreich. Die Regierung in Paris will die Wutbürger mit lokalen Referenden besänftigen.

Rund 1000 kleine Holzhütten, ein Spaßbad mit künstlichen Palmen und mehrere kinderfreundliche Restaurants: So soll die Center-Parcs-Anlage in Roybon in der Nähe der französischen Alpenstadt Grenoble einmal aussehen - wenn sie denn überhaupt gebaut wird. Denn das ist nicht sicher. Seit Wochen protestieren Umweltschützer gegen das Projekt, das in einem Feuchtgebiet entstehen soll. Dort, wo das Feriendorf geplant ist, hat eine Handvoll Aktivisten ein Protestcamp errichtet. "ZAD" steht am Eingang auf einer Holzlatte, die Abkürzung für "Zone à defendre" - Verteidigungszone.

Roybon ist nicht der einzige Ort in Frankreich, der eine solche Zone hat. Die bekannteste liegt in der Nähe der westfranzösischen Stadt Nantes , wo der neue Großflughafen Notre-Dame-des-Landes geplant ist. Seit 2007 halten Aktivisten dort das Gelände besetzt, ein geschütztes Sumpfgebiet. Immer wieder gibt es Straßenschlachten zwischen militanten Umweltschützern und der Polizei , wie Deutschland sie vom Protest gegen die Atommülltransporte nach Gorleben kennt.

Allerdings richtet sich Frankreichs Protestbewegung nicht gegen die Gefahren der Atomkraft. Es sind eher neue Trassen für den Hochgeschwindigkeitszug TGV, Einkaufszentren und Massentierfarmen, die die militanten Öko-Aktivisten auf den Plan rufen. Traurige Schlagzeilen machten Ende Oktober die Proteste gegen einen Staudamm im südfranzösischen Sivens: bei Auseinandersetzungen zwischen Staudammgegnern und der Polizei wurde der Demonstrant Rémi Fraisse durch eine Polizeigranate getötet.

"Die Aktivisten wollen eine Gesellschaft, die auf anderen Grundlagen beruht als der Ausbeutung der Natur", sagt der Experte für Protestbewegungen , Nicolas Haeringer, der Zeitung "Le Monde ". Gleichzeitig sind die radikalen Umweltschützer von der Idee fasziniert, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Der Staudamm in Sivens liegt erst einmal auf Eis. Auch das Flughafenprojekt in Nantes stoppte die Regierung nach den Protesten Ende 2012 vorerst. Und in Roybon stehen die Bagger ebenfalls still - zumindest bis Dienstag. Dann entscheidet das Verwaltungsgericht Grenoble , ob die Rodung des Geländes weitergehen darf. Darauf hoffen auch die meisten Einwohner von Roybon, denen die mehr als 400 Arbeitsplätze des Feriendorfs willkommen sind. Sie gehen ebenso auf die Straße wie die Gegner des Center Parcs.

"Die Mobilisierung hängt auch mit Forderungen nach mehr Demokratie zusammen. Es gibt eine Idee absoluter Gleichheit: Alle und nicht nur die Amtsträger können mitentscheiden", erklärt Haeringer das Phänomen der ZAD.

Die sozialistische Regierung reagierte spät auf die Wutbürger. Nach dem Tod von Rémi Fraisse dauerte es zwei Tage, bis Präsident François Hollande sich dazu äußerte. Inzwischen hat der Staatschef allerdings erkannt, dass wilde Protestcamps und verletzte Demonstranten das Bild Frankreichs im Ausland trüben. Der Präsident will deshalb die Bürger bei Großprojekten mehr einbinden. "Sivens erfordert zusätzliche Schritte bei der Beteiligung der Bürger an öffentlichen Entscheidungen", sagte der Staatschef. Volksbefragungen könnten in den Gemeinden für Klarheit sorgen.

Meinung:

Eine neue Bewegung?

Von SZ-RedakteurJörg Wingertszahn

Es scheint, als halle der Ruf des 2013 verstorbenen Aktivisten Stéphane Hessel wieder durch Frankreich: "Empört euch!" Und lasst euch nichts gefallen, wenn "die da oben" wieder ein Projekt gegen euren Willen durchdrücken wollen.

Dass die Franzosen gerne auf die Barrikaden gehen, ist hinlänglich bekannt. Doch dieses Mal geht es weder um Agrarsubventionen noch Kürzungen im Bildungssystem noch eine längere Lebensarbeitszeit. Es geht um Ökologie und Umweltschutz. Das ist neu. In einem Land, das unbekümmert fast 80 Prozent seiner Energie aus Atomkraft bezieht, hätte man das so auch nicht erwartet. Der Sozialist Hollande tut sicher gut daran, die Demonstranten ernst zu nehmen. Wenn er seine Wähler auch noch an ökologische Parteien verliert, könnte ihm das endgültig das Genick brechen.

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