Wenn in Deutschland islamisches Recht gilt

Frankfurt/Saarbrücken. Vielen gilt die Scharia als Inbegriff von Menschenverachtung oder als Synonym für Unterdrückung und Gewalt. Wendet sich ein Muslim oder eine Muslimin aber an ein deutsches Gericht, kann durchaus die Scharia zur Anwendung kommen. Denn längst hat islamisches Recht auch an deutschen Gerichten Einzug gehalten

 Wichtigste Quelle der Scharia ist der Koran. Foto: dpa/godong

Wichtigste Quelle der Scharia ist der Koran. Foto: dpa/godong

Frankfurt/Saarbrücken. Vielen gilt die Scharia als Inbegriff von Menschenverachtung oder als Synonym für Unterdrückung und Gewalt. Wendet sich ein Muslim oder eine Muslimin aber an ein deutsches Gericht, kann durchaus die Scharia zur Anwendung kommen. Denn längst hat islamisches Recht auch an deutschen Gerichten Einzug gehalten.Die Scharia, sagt der Erlanger Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe, ist "ein hochkomplexes System religiöser und rechtlicher Normen des Islam". Anders als in islamisch geprägten Staaten wie etwa dem Iran, wo die Scharia seit Ende der 1970er Jahre Hauptquelle der Gesetzgebung ist, ist der Rahmen in Deutschland allerdings eng gesteckt. Die Gerichtsentscheidung muss mit dem geltenden Recht vereinbar sein, sagt Rohe. "Alle Arten von Straftaten wie Fälle häuslicher Gewalt werden ausschließlich nach deutschem Recht behandelt." Wenn es aber um die private Lebensführung von Einwanderern geht, gilt das Internationale Privatrecht, nach dem etwa bei Scheidungsfällen oder in Erbrechtsfällen bei Ägyptern nach ägyptischem Recht, bei Iranern nach iranischem Recht geurteilt wird. "In Gestalt dieser Rechtsordnungen kommt dann auch die Scharia ins Spiel", sagt Rohe.

Die Frankfurter Juristin Svenja Gerhard, die als Beraterin bei dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften arbeitet, kennt zahlreiche Fälle aus der Praxis: Bei der Scheidung eines tunesischen Ehepaars etwa entschied ein deutsches Gericht, dass der Frau die Morgengabe - nach islamischem Recht eine Art finanzielle Absicherung der Braut - als nachehelicher Unterhalt ausgezahlt werden muss. In einem anderen Fall erkannte ein Gericht eine Ehe an, die in Tunesien durch zwei Stellvertreter per Handschlag geschlossen worden war.

In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Entscheidungen, die öffentliches Aufsehen erregten. Das Bundessozialgericht in Kassel lehnte 2000 die Klage einer aus Marokko stammenden Witwe ab, die sich weigerte, die Rente ihres Mannes mit der Zweitfrau zu teilen. Das Gericht entschied mit Verweis auf islamisches Recht zugunsten der Zweitfrau. Beide Frauen hätten Anspruch auf den gleichen Rentenanteil, entschieden die Richter.

Für Irritationen sorgte auch eine Erbrechtsentscheidung aus dem vergangenen Jahr. Damals teilte das Amtsgericht einer Münchnerin nach dem Tod ihres aus dem Iran stammenden Mannes mit, dass ihr anstelle des Alleinerbes nur ein Viertel des Erbes zustehe. Die übrigen Dreiviertel gingen an Verwandte des Mannes in Teheran. Auch hier trat ausländisches Recht in Kraft: Stirbt ein Ehepartner, der keinen deutschen Pass besitzt, gilt das Erbrecht seines Herkunftslandes, in diesem Fall das iranisch-islamische Recht.

Im Saarland entschied das Oberlandesgericht 2005 zugunsten einer geschiedenen Frau und sprach ihr das sogenannte Brautgeld zu, das bei der Heirat nach islamischem Ritus per Ehevertrag vereinbart worden war. Dieses erhält die Frau im Falle einer Trennung des Paares.

Rohe betont, die deutsche Rechtsordnung billige Eheverträge, in denen Ehefrauen nach islam-rechtlichen Vorstellungen eine Brautgabe versprochen wird oder Wirtschaftsverträge, die Zinszahlungen vermeiden wollen. Die Scharia könne angewandt werden, wenn das Ergebnis für den deutschen Staat erträglich sei. Zugleich sieht Rohe in dieser Art der Rechtsprechung ein Mittel, einer islamischen Paralleljustiz vorzubeugen. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Parallelstrukturen bekommen", sagt der Gründungsdirektor des Zentrums für Islam und Recht in Europa an der Universität Erlangen. So könne Vertrauen in den Rechtsstaat bei manchen Migranten dadurch gestärkt werden, dass man ihre kulturellen Kontexte berücksichtigt und die Grundlagen europäischer Rechtsordnungen erklärt, ist sich Rohe sicher. "Vernünftige Vergleiche gibt es nur, wenn man mit den Leuten in ihrer Sprache spricht."

Hintergrund

 Wichtigste Quelle der Scharia ist der Koran. Foto: dpa/godong

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In Deutschland ist man in Bezug auf Schiedsgerichte zögerlich. Es gibt nur vereinzelte Stimmen, wie zuletzt der Mainzer Justizminister Jochen Hartloff (SPD), die die Existenz islamischer Schiedsgerichte in Deutschland grundsätzlich für zulässig halten. Der saarländische Justiz-Staatssekretär Wolfgang Schild teilte auf SZ-Anfrage mit: "Schiedsgerichtliche Entscheidungen sind aus Sicht des Ministeriums der Justiz nur insoweit zulässig, soweit sie dem deutschen Recht nicht widersprechen. Konkret bedeutet dies, dass insbesondere im familienrechtlichen Bereich oder im strafrechtlichen Bereich alleine die staatlichen Gerichte entscheiden." epd/jöw

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