Vorfreude ist die einzig wahre Urlaubsfreude

Berlin. Wolfram Schultz staunte nicht schlecht. Der weltweit führende Dopamin-Forscher der Universität Cambridge in England testet an Menschenaffen, wie der Neurotransmitter wirkt. Wie andere Botenstoffe fließt Dopamin zwischen Synapsen, Andockstellen zur Botenweiterleitung an Gehirnzellen. Bekamen die Affen nach einer Übung eine Belohnung, nahmen sie die selbstverständlich hin

Berlin. Wolfram Schultz staunte nicht schlecht. Der weltweit führende Dopamin-Forscher der Universität Cambridge in England testet an Menschenaffen, wie der Neurotransmitter wirkt. Wie andere Botenstoffe fließt Dopamin zwischen Synapsen, Andockstellen zur Botenweiterleitung an Gehirnzellen. Bekamen die Affen nach einer Übung eine Belohnung, nahmen sie die selbstverständlich hin. Die Banane versetzte ihre Körper jedoch nicht in einen Glückszustand. Ein kräftiger Glücksschub schien aber die Affengehirne zu befeuern, wenn sie wussten, dass die Belohnung kurz bevorstand. Dann waren die Tiere hocherregt.In diesen Wochen rüsten sich Millionen Menschen, um zu reisen. Der Sommerurlaub gilt traditionell als Freizeit-Höhepunkt des Jahres. Die sich da vorbereiten, empfinden Spannung, manchmal ein Kribbeln unter der Haut. Sie erhoffen sich etwas. Und können gar nicht anders. Denn die Vorfreude auf das Ereignis wirkt wie Speed, als würde das Gehirn von einem gewaltigen Cocktail an Drogen überflutet. Makellose Strände, sanft buckelnde Landschaften, Abende, die leuchtend im Sonnenuntergang versinken, Abendessen in schönem Ambiente und mehr Zeit für die Liebe - all diese Bilder überschwemmen beim Gedanken an den Urlaub das Bewusstsein.

Erst seit Kurzem wissen Wissenschaftler, dass Dopamin des Typs D2 diese Wirkung erzielt. Es erreicht den Nucleus accumbens, jenen Bereich im Mittelhirn, der sofort heftig reagiert auf den "Neurotransmitter der Begierde", wie Dopamin auch genannt wird. Das ist so bei der Vorfreude auf ein Wiedersehen mit einem geliebten Menschen, bei einem anstehenden Sportwettstreit, bei einem besonderen Essen oder erwartetem Sex. Der Nucleus accumbens, das zentrale Belohnungszentrum im Kopf, aktiviert die Erwartung enorm, indem er ein Hochgefühl auslöst.

Das verursacht aber ein Problem: Die Dopamin-Schübe im Vorfeld des Urlaubs sind stark anhaltend, am Zielort angekommen, lassen sie augenblicklich nach. Denn das Hirn hat nun nichts mehr, worauf es sich freuen kann. Gleichgültigkeit macht sich breit, oft gepaart mit Langeweile. Es ist alles nicht so toll wie erwartet, es gibt manches zu mäkeln. "Die Eigenschaft der Dopamin-Neuronen, nur positiv zu antworten, wenn die Belohnung besser als vorausgesagt ausfällt, erklärt womöglich, warum wir ständig mehr Belohnungen brauchen", resümiert Wolfram Schultz. Der Professor empfiehlt deshalb, sich auch im Urlaub Gelegenheiten zu verschaffen - ein Ausflug, eine ungewöhnliche Tagesgestaltung, eine arrangierte Überraschung - Erlebnisse, die Vorfreude verursachen. Der Forscher Lee Berk und sein Team der University of California haben ermittelt, dass freudige Erwartung sogar Stresshormone im Körper vermindert. Daran zu denken, dass man in einigen Tagen ein lustiges Video sehen könne, reduzierte das Kortisol im Blut seiner Testpersonen um 39 Prozent, das Epinephrin gleich um 70 Prozent. Wird die Menge an Stresshormonen gesenkt, kann der Körper besser Infektionen und anderen Krankheiten widerstehen. Vorfreude stabilisiert also auch die Gesundheit. Zudem kommt es auf das Urlaubsziel an. Griechenland weckt derzeit vielleicht nicht so viel Vorfreude, aber vielleicht Ziele in Nordafrika oder Asien?

Am University College in London baten Mitarbeiter der Studienleiterin Tali Sharot 61 Teilnehmer, sich 80 Reiseziele mit bunten Bildern anzuschauen und sie danach auf einer Skala von eins bis sechs zu bewerten. Danach schluckten sie eine Placebo-Tablette mit der Auflage, sich auf 40 Destinationen zu beschränken. In einem dritten Gang bekamen die Teilnehmer ein Medikament, das den Dopamin-Spiegel im Gehirn ansteigen ließ. Am folgenden Tag war die Wahl zu treffen, wohin der Urlaub gehen solle. Nahezu alle entschieden sich für jene Reiseziele, die sie im Dopamin-Rausch zum Schwärmen gebracht hatten. "Wir waren selbst erstaunt, wie stark der Einfluss der Dopamin-Gabe war", bekannte Tali Sharot.

Jeder kennt das Gefühl leichter bis mittelschwerer Enttäuschung im Urlaub, wenn das Wetter nicht mitspielt, die Unterkunft nicht den Erwartungen entspricht, die Partnerschaft nicht so leicht belebt werden kann oder die Kinder nerven. Was kann man dagegen tun? Imaginieren. Sich klar machen, dass sich die freien Tage unterscheiden vom Alltag, auch wenn man sich wieder mal zu viel erhofft hatte. Noch wichtiger nach der Rückkehr: Schöne Urlaubserinnerungen beschwören, sich Fotos anschauen oder Bilder im Gedächtnis aktivieren. Vorfreude ist zwar die schönste Freude, aber Nachfreude enthält auch noch ziemlich viel Freude.

Hintergrund

Die große Mehrheit der Bundesbürger reist trotz der Krise gerne in die Ferne. 61 Prozent fahren auch in entfernte Länder, nur 32 Prozent schränken sich in ihren Urlaubsplänen ein. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Vor allem für Jüngere spielt die Krise bei ihren Plänen keine Rolle: 73 Prozent der 18- bis 24-Jährigen verzichten deshalb nicht auf weite Reisen.

62 Prozent der Befragten legen der Umfrage zufolge im Urlaub Wert darauf, neue Städte und Kulturen kennenzulernen. Sommer, Strand und Party sind hingegen nur für 28 Prozent der Befragten ein Muss. All-Inclusive-Urlaub will knapp die Hälfte der Befragten machen. Sport ist für 45 Prozent der Bundesbürger im Urlaub wichtig. Männer sind aktiver als Frauen: Für 51 Prozent von ihnen gehört Sport zu einem gelungenen Urlaub, bei den Frauen sind es nur 39 Prozent. dpa

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