"Kriminelle Energie" auf der Elversberger Pflegestation

Spiesen-Elversberg. Der Schock bei den Verantwortlichen und der Belegschaft der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Saar über die grausamen Vorfälle im Elversberger Seniorenzentrum sitzt auch am Tag danach sehr tief. Zwei Pfleger (35 und 25 Jahre alt) sollen über Monate hinweg hilflose Patienten gedemütigt, gequält und misshandelt haben

 Weshalb blieben die Misshandlungen im Seniorenzentrum Elversberg so lange unentdeckt? Foto: Becker&Bredel

Weshalb blieben die Misshandlungen im Seniorenzentrum Elversberg so lange unentdeckt? Foto: Becker&Bredel

Spiesen-Elversberg. Der Schock bei den Verantwortlichen und der Belegschaft der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Saar über die grausamen Vorfälle im Elversberger Seniorenzentrum sitzt auch am Tag danach sehr tief. Zwei Pfleger (35 und 25 Jahre alt) sollen über Monate hinweg hilflose Patienten gedemütigt, gequält und misshandelt haben. Ein alter Mann und eine betagte Frau sind dadurch möglicherweise zu Tode gekommen. Mit dieser Botschaft ging die Awo - wie berichtet - am Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Von Sadismus und dem Werk von Psychopathen sprachen der Landesvorsitzende Paul Quirin und Geschäftsführer Karl Fischer. Angesichts der grausamen Vorfälle in Elversberg sagte der Wohlfahrtsverband ein für diesen Samstag geplantes großes Fest der Awo Südwest, zu dem 5000 Gäste ins Völklinger Weltkulturerbe eingeladen waren, ab.Im Elversberger Awo-Heim, in dem 157 Senioren betreut werden, überschlugen sich gestern die Ereignisse. Fischer führte fast den ganzen Tag über Gespräche mit besorgten und aufgeschreckten Angehörigen und mit Mitarbeitern. Per Post waren die Familien und Betreuer der Senioren gestern über die Vorfälle und den vorläufigen Stand der Aufklärung informiert worden. Fischer schloss weitere interne Konsequenzen nicht aus, wartete auf eine von Betriebsrat und betroffenen Pflegekräften angekündigte Erklärung. Die internen Ermittlungen dauern weiter an.

Die Kardinalfragen, die weiterhin unbeantwortet sind: Wieso blieben die angeblichen Misshandlungen der hilflosen Patienten über Monate unentdeckt? Wieso fiel niemandem auf, dass beispielsweise ein alter Mann plötzlich zahlreiche Schnittverletzungen im Gesicht hatte? Wie kann es sein, dass den Ärzten der betroffenen Patienten nichts aufgefallen ist? Bei Kontrollen der Heimaufsicht, des Gesundheitsamtes und des Medizinischen Dienstes der Kassen gab es, so bestätigte das zuständige Ministerium, in den letzten Jahren keine besonderen Beanstandungen. Die letzte Routineprüfung war im Dezember. Inzwischen kümmern sich übrigens - zumindest vorübergehend - spezialisierte Pflegekräfte der Völklinger SHG-Klinik um die Schwerstpflegefälle in dem Elversberger Heim.

Deutliche Worte zu dem offenkundigen Pflege-Skandal fand gestern Saar-Sozialminister Andreas Storm (CDU). Er sagte im Gespräch mit unserer Zeitung: "Da ist wohl mit ganz erheblicher krimineller Energie gearbeitet worden. Es handelt sich um den schlimmsten Fall von Missbrauch in der Pflege in der Geschichte des Saarlandes." Storms Staatssekretärin Gaby Schäfer (CDU) informierte sich gestern Vormittag vor Ort und reklamierte bei den Awo-Verantwortlichen umfassende Aufklärung. Täglich erwartet das Ministerium jetzt einen aktuellen Rapport über den Stand der internen Awo-Ermittlungen. Konkret: Gab es Vorfälle, die bei Kontrollen der Aufsichtsbehörde vertuscht worden sind? Storm: "Das Phänomen ist doch, dass niemand von diesen Vorgängen etwas mitbekommen haben will."

Nächste Woche wird sich der zuständige Landtagsausschuss mit dem Thema beschäftigen. Storm geht auch davon aus, dass der Vorfall auf der Konferenz der Gesundheitsminister von Bund und Ländern, die in Saarbrücken stattfindet, zur Sprache kommen wird.

Derweil kündigt Rechtsanwalt Klaus Straßer, der die beiden beschuldigten Pfleger arbeitsrechtlich vertritt, Schadenersatzansprüche seiner Mandanten gegen die Arbeiterwohlfahrt als deren Arbeitgeberin an: "Meine Mandanten weisen die Vorwürfe als haltlos zurück. Hier werden Tatsachen verdreht. Wir vermuten Mobbing, weil die beiden sich im Kollegenkreis möglicherweise unbeliebt gemacht haben", sagt Rechtsanwalt Straßer.

Die Awo habe für die Vorverurteilung seiner Mandanten gesorgt. Dies sei der Grund, weshalb die beiden Pfleger selbst "aus wichtigem Grund" fristlos gekündigt haben. Seine Mandanten seien selbstverständlich bereit, alles zur Aufklärung der Vorwürfe beizutragen. mju

"Meine Mandanten weisen die Vorwürfe als haltlos zurück. Hier werden Tatsachen verdreht."

 Weshalb blieben die Misshandlungen im Seniorenzentrum Elversberg so lange unentdeckt? Foto: Becker&Bredel

Weshalb blieben die Misshandlungen im Seniorenzentrum Elversberg so lange unentdeckt? Foto: Becker&Bredel

Klaus Straßer, Anwalt der beiden beschuldigten Pfleger

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