Uneinsichtig auch im Abgang

Manche erinnerten sich: Vor neun Jahren war Franz Josef Jung schon einmal zurückgetreten, damals als hessischer Europaminister wegen der CDU-Spendenaffäre. Der gleiche federnde Schritt auch jetzt wieder, das gleiche Lächeln, das so gar nicht zum Anlass passen will

Manche erinnerten sich: Vor neun Jahren war Franz Josef Jung schon einmal zurückgetreten, damals als hessischer Europaminister wegen der CDU-Spendenaffäre. Der gleiche federnde Schritt auch jetzt wieder, das gleiche Lächeln, das so gar nicht zum Anlass passen will. Vor allem die gleiche Uneinsichtigkeit: "Ich habe sowohl die Öffentlichkeit als auch das Parlament über meinen Kenntnisstand korrekt unterrichtet." Ein Abgang ohne Schuldeingeständnis, nur zwecks "Übernahme der politischen Verantwortung" und um "Schaden von der Bundeswehr abzuwenden". Und ein Rekord. Nur 31 Tage war Jung Arbeitsminister. So schnell trat noch keiner zurück.

Oder so langsam. Denn für viele in der eigenen schwarz-gelben Koalition kam der Schritt einen Tag zu spät. Viele hatten ihn sich schon am Donnerstag gewünscht, als der Skandal um die Informationspolitik des bis zur Wahl von Jung geleiteten Verteidigungsministeriums bekannt wurde. Er habe, sagte der 60-jährige Winzersohn aus Hessen, die Sache erst mal überschlafen wollen und am Freitagmorgen die Bundeskanzlerin unterrichtet, "dass ich mein Amt zur Verfügung stelle". Das klang nach freiwilligem Verzicht. War es aber nicht.

Ohne den Rücktritt hätte der CDU-Politiker das Wochenende kaum überstanden. Niemand in der Koalition rührte am Freitag, am Tag nach dem großen Knall, noch die Hand für ihn. Im Gegenteil, es gab deutliche, distanzierende Äußerungen. So wertete selbst der CDU-Obmann im Verteidigungsausschuss, Ernst-Reinhard Beck, am Rande einer Sondersitzung des Gremiums die Informationspannen um die Bombardierung am Kundus-Fluss vom 4. September als Rücktrittsgrund: "Wenn Jung jetzt noch Verteidigungsminister wäre, müsste er wohl die Verantwortung übernehmen", sagte Beck. Jung sei aber nun Arbeitsminister, schob der Abgeordnete eilig hinterher, "da steht das nicht in Frage". Die FDP-Sprecherin in dem Gremium, Elke Hoff, zeigte sich misstrauisch über Jungs Erklärung vom Vortag. Union wie FDP erklärten, sie würden sich dem Begehren der Opposition, einen Untersuchungsausschuss gegen Jung einzurichten, nicht entziehen.

Auch von der Kanzlerin kam kein Wort des Rückhalts. Wer Augen hatte zu sehen, konnte den Bruch schon am Donnerstagabend beobachten, als Jung im Bundestag seine Rechtfertigungserklärung abgab. Merkel blickte nur versteinert geradeaus. In der Unions-Fraktion war zu hören, dass Jungs Rede schwer enttäuscht habe. Man habe gehofft, Jung werde sagen, die Militärs hätten ihm wichtige Informationen vorenthalten, "dann wäre er raus gewesen". Dass Jung aber erklärte, am 6. Oktober zwar über die Feldjägerberichte informiert worden zu sein, in denen von zivilen Opfern die Rede war, doch diese nicht gelesen zu haben, sei "sehr irritierend".

Viele in der Union erinnerten sich lebhaft an die Zeit kurz nach dem Bomben-Zwischenfall. Damals sprach Jung tagelang davon, dass nur Taliban getötet worden seien, später dass es "überwiegend Taliban" waren. Merkel blieb es am 8. September mit einer Regierungserklärung vorbehalten, Sätze des Bedauerns über zivile Opfer zu formulieren. Die kamen dem Minister auch bei seinem Rücktritt nicht über die Lippen. "Es ist mir ein Herzensanliegen, die Soldatinnen und Soldaten in ihrem schweren Einsatz für Frieden und Freiheit unseres Vaterlandes zu unterstützen und sie vor unberechtigten Angriffen in Schutz zu nehmen", waren Jungs letzte Ministerworte.

Einer konnte mitten in dem Desaster punkten, und zwar bis weit in die Opposition hinein: Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Weil er die bislang geheim eingestuften Feldjägerberichte über das Kundus-Bombardement kurzerhand dem Verteidigungsausschuss übergab, lobten die Abgeordneten seine "offensive und offene Herangehensweise", wie selbst der Grünen-Abgeordnete Hans-Josef Fell formulierte. Zugleich deutete Guttenberg an, dass er aufgrund der neuen Erkenntnisse seine bisherige Einschätzung, dass der Bombenbefehl "militärisch angemessen" war, korrigieren werde. Damit nahm sich Guttenberg selbst aus der Schusslinie, erhöhte aber indirekt den Druck auf Jung noch weiter. Jung, das war am Freitagmorgen klar, hatte in Berlin keine Freunde mehr. Und sein großer Mentor Roland Koch war weit weg.

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