Streit um Lohn-Dumping bei Höll

Für Claudia Fischer (Name geändert) war der vergangene Montag einer der schlimmsten in ihrem Leben. "Wir wurden in die Kantine gerufen, saßen da wie zusammengetriebenes Vieh, und dann bekamen wir mitgeteilt, dass wir nicht mehr hier arbeiten können", sagt Fischer

 Ein Klassiker von Höll - der Lyonerring. Er wird künftig auch von Leiharbeitern aus Rumänien produziert, was in der Belegschaft Empörung auslöst. Foto: Maurer

Ein Klassiker von Höll - der Lyonerring. Er wird künftig auch von Leiharbeitern aus Rumänien produziert, was in der Belegschaft Empörung auslöst. Foto: Maurer

Für Claudia Fischer (Name geändert) war der vergangene Montag einer der schlimmsten in ihrem Leben. "Wir wurden in die Kantine gerufen, saßen da wie zusammengetriebenes Vieh, und dann bekamen wir mitgeteilt, dass wir nicht mehr hier arbeiten können", sagt Fischer. Seit über zehn Jahren arbeitet sie in der Produktion bei Höll, war in den vergangenen Jahren immer wieder bereit, Opfer für das angeschlagene Unternehmen zu bringen, "und dann wird man einfach so abgefertigt". Für sie das Schlimmste: Während die Mitarbeiter in der Kantine saßen, wurden nebenbei bereits die Ersatzarbeitskräfte aus Rumänien eingekleidet, die ihre Arbeit übernehmen sollen.Eine Woche ist es her, dass der Insolvenzverwalter von Höll, Günter Staab, den Abbau von 102 Arbeitsplätzen angekündigt hat. Dies sei nötig, um das Traditionsunternehmen zu retten, so Staab. "Wir haben jeden Monat deutlich sechsstellige Verluste geschrieben", sagt Staab. "Wir waren einfach unter Zugzwang." Um die Produktion trotzdem am Laufen zu halten, habe man die Beschäftigten zumindest teilweise durch rumänische Mitarbeiter ersetzt, die auf der Basis von Werkverträgen arbeiten. Das ist preiswerter, denn das Unternehmen spart die Sozialleistungen. Auf diese Weise, so Staab, habe man das Überleben des Unternehmens gesichert - und damit 200 Arbeitsplätze. "Die Alternative wäre gewesen, dass wir dichtmachen", sagt er.

Doch die Aufregung ist groß. So hat SPD-Landeschef Heiko Maas den Schritt, gut ausgebildete saarländische Fachkräfte durch Rumänen zu Dumping-Löhnen zu beschäftigen als "gefährlich für den Wirtschaftsstandort Saarland" kritisiert. Und dabei übergangen, dass es sich dabei um ein rechtlich einwandfreies Vorgehen handelt, das in der EU durchaus möglich und üblich ist. So ist es seit 2007 durch den Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union legal, dass Dienstleister über Werkverträge mit rumänischen Mitarbeitern Aufträge in den Betrieben abarbeiten. Für die Bezahlung gibt es klare Vorgaben: So muss die Entlohnung der rumänischen Mitarbeiter einschließlich eines Auslandszuschlags dem deutschen Tariflohn entsprechen. Nur die Sozialabgaben dürfen dabei abgezogen werden. Was auf dem Papier so gut klingt, sah für die saarländischen Mitarbeiter anders aus. "Für mich war das Menschenhandel", sagt Fischer. "Die Rumänen werden mit Bussen hierhergekarrt, sie arbeiten deutlich mehr als acht Stunden - und aufmucken dürfen sie auch nicht, weil sie Angst haben, sofort wieder zurückgeschickt zu werden." So habe sich eine Frau krank an ihren Arbeitsplatz geschleppt.

Staab gibt zu bedenken, dass Höll schließlich auch für über eine halbe Million Euro eine Transfergesellschaft für die Mitarbeiter gegründet hat, in der diese weiter qualifiziert werden. Das sieht Fischer auch. Sie hofft, so nun einen neuen Job zu finden.

Letztlich kann Staab den Ärger über den Einsatz von Werkvertraglern auch verstehen - doch die Konkurrenzsituation der Branche lasse den Unternehmen wenig Wahl. "Ich bin ein großer Verfechter des Mindestlohns", sagt Staab. Derzeit allerdings sei der Einsatz von Werkarbeitnehmern eine "branchenübliche Maßnahme", sagt Jörg Habich, der bei Höll für die kaufmännische Organisation zuständig ist.

Tatsächlich ist es so, dass in der Fleisch verarbeitenden Industrie zunehmend externe Arbeiter eingesetzt werden. So beschäftigt der Fleischverarbeiter B+C Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) von 4700 Mitarbeitern 3700 auf Basis von Werkverträgen - die meisten davon aus Rumänien. Auch bei Höll waren zum Abfedern von Saisonspitzen immer wieder Mitarbeiter über solche Verträge beschäftigt. "Aber gemeinsam mit dem Unternehmen ist es uns bisher gelungen, das einzudämmen", sagt Mark Baumeister, Geschäftsführer der Gewerkschaft NGG in Saarbrücken. "Das ist eine Kultur, die wir hier nicht haben wollen."

Ähnlich sieht es auch Willi Walter, Geschäftsführer des Konkurrenten Schröder: "Wir sind ein Familienunternehmen - und unsere Mitarbeiter sind ein Teil dieser Familie. Wir können uns nicht vorstellen, einen Teil dieser Familie nach Hause zu schicken und durch osteuropäische Billiglöhner zu ersetzen", sagt er. Er sagt, dass Höll zu spät auf die steigenden Rohstoffpreise reagiert hat. Dass bei allem öffentlichen Aufschrei das Modell externer Werkvertragsnehmer wirtschaftliche Realität ist, davon ist Joachim Malter, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Saarländischen Unternehmensverbände (VSU), überzeugt. "Ob man das will, ist nicht der Maßstab", sagt er. Die Frage sei vielmehr, wie sich Unternehmen letztlich behelfen müssen. "Die Alternative ist doch, dass man Unternehmen verurteilt, dass sie vom Markt verschwinden müssen", sagt Malter. "Die Tatsache, dass selbst der Betriebsrat das trägt, zeigt doch, dass der Schritt wohl nötig war." Malter kritisiert in diesem Zusammenhang auch, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Es könne nicht sein, dass man auf der einen Seite ein T-Shirt für drei Euro kauft und sich gleichzeitig über die Arbeitsbedingungen aufregt.

Auch Peter Jacoby (CDU), der zurzeit das saarländische Wirtschaftsministerium kommissarisch führt, will das Vorgehen bei Höll nicht per se verurteilen, schließlich geschehe alles auf der Basis von Recht und Gesetz: "Wir sehen das Ganze als eine Gratwanderung an. Als eine Überbrückung, um eine Zuspitzung der Insolvenz zu vermeiden. Wir wollen aber auch signalisieren, dass das keine gängige Praxis werden darf", sagt er.

"Die Alternative

wäre gewesen,

dass wir dichtmachen."

Günter Staab,

Insolvenzverwalter von Höll

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort