Reiche wird bald noch reicher

Berlin · Nach langer Debatte hat das Kabinett Auflagen für Wechsel von Politikern in die Wirtschaft beschlossen. Für die Opposition nur ein „Placebo“. Und ein Regierungsmitglied wechselt noch schnell vor Inkrafttreten die Seite.

Räumlich ist der Jobwechsel kein großer Schritt. Der Weg zur Arbeit in Berlin wird für Katherina Reiche gleich bleiben, wenn die CDU-Politikerin (41) im September Hauptgeschäftsführerin beim einflussreichen Verband kommunaler Unternehmen (VKU) wird. Statt in der Invalidenstraße 44 wird ihr Büro dann in der Invalidenstraße 91 sein - schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite.

Doch politisch ist der Schritt etwas größer. Derzeit ist Reiche noch Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Kritiker halten den Wechsel für fragwürdig bis schamlos. Ihr neuer Job bringt ihr angeblich das doppelte Gehalt von dem, was die Kanzlerin bekommt. Spötter halten den Wechsel für den perfekt getimten Absprung: Denn Reiche könnte das letzte Regierungsmitglied sein, das ohne Auflagen die Seiten wechseln kann. In Zukunft gibt es Schranken. Das Bundeskabinett beschloss gestern nach zähen Diskussionen eine Gesetzesänderung. Wenige Stunden später gaben die VKU-Spitzengremien grünes Licht für Reiches neuen Job - für sie greift die geplante Neuregelung noch nicht.

Danach müssen Minister und Staatssekretäre künftig der Regierung melden, wenn sie einen Job in der Wirtschaft annehmen wollen. Es wird dann geprüft, ob ein Interessenkonflikt vorliegt, also heikle Überschneidungen zwischen Amt und neuem Job. Wenn nicht, steht dem Wechsel nichts im Wege. Wenn doch, gibt es eine Zwangs-Wartezeit: in der Regel bis zu zwölf Monate, in besonders problematischen Fällen bis 18 Monate. Was ein solcher Fall wäre, ist offen gehalten.

Für die Entscheidung will sich die Bundesregierung ein dreiköpfiges unabhängiges Gremium an die Seite holen, eine Art Ethikkommission. Die Runde kann aber nur beraten. Das heißt, die Regierung kann sich an die Empfehlung halten, muss es aber nicht. Die Linke-Politikerin Halina Wawzyniak spricht von einer Mogelpackung und einem reinen Placebo. "Die Bundesregierung entscheidet also darüber, was die Bundesregierung darf", spottet sie. Wie denn die Kommission besetzt wird, fragt Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann, "etwa mit den Herren Niebel und Co?". Auch der Ex-Entwicklungsminister hatte sich einen Job in der Wirtschaft gesichert. Organisationen wie LobbyControl und Transparency halten die neue Regelung für völlig unzureichend. Sie fordern eine Zwangspause von drei Jahren. "Im Amt erworbene Kontakte und Insiderwissen können genutzt werden, um Politik im Sinne eines Einzelinteresses zu beeinflussen", meint Christina Deckwirth von LobbyControl.

Bis die Neuregelung in Kraft ist, werden noch Monate vergehen. Reiche wird nur knapp sieben Monate "Abklingzeit" haben. Über das geplante Gehalt schweigt sich der Lobbyverband VKU aus. Liegt im Fall der Politikerin, die 1998 schon mit 25 Jahren als junges Gesicht in den Bundestag einzog, ein Interessenkonflikt vor? Zumindest könnte ihr Netzwerk nützlich sein. Von 2009 bis 2013 war die Chemikerin bereits Parlamentarische Umwelt-Staatssekretärin.

Für den VKU, der 1430 Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 110 Milliarden Euro vertritt, ist die Abfallwirtschaft ein wichtiges Feld und die ist im Umweltministerium angesiedelt. Wie die Kesselflicker streiten VKU und private Entsorger um Zugriffsrechte auf Abfälle. In Zeiten zunehmenden Recyclings ist es ein Milliardengeschäft. Bald steht das Ringen um eine einheitliche Wertstofftonne an. Zudem buhlt der VKU um Sonderprämien für fossile Kraftwerke. Viele Anlagen rentieren sich wegen der Zunahme an Solar- und Windstrom nicht mehr. Zwar ist die Energiepolitik seit 2013 im Wirtschaftsministerium gebündelt, aber Reiche dürfte viele Mitarbeiter noch kennen. Zudem stellt sich die Frage, was die Wähler in Potsdam denken, die sie 2013 per Direktmandat erneut in den Bundestag gebracht haben?

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