Hand in Hand mit Griechenland

Brüssel · Erst wettert Griechenland gegen die EU, dann macht es wieder gut Wetter. In Brüssel herrscht darüber Verwirrung – und die Angst, dass trotz aller schönen Worte ein Riss durch die Gemeinschaft gehen könnte.

Für einen kurzen Augenblick stehen die beiden voreinander, als ob sie nicht wüssten, ob sie es tun sollen. Doch dann umarmt Jean-Claude Juncker seinen Gast Alexis Tsipras . Der Kommissionspräsident und der neue griechische Premier, die bisher nur übereinander geredet haben. Und als ob das noch nicht reicht, ergreift Juncker mit ungewohnter Herzlichkeit die Rechte des Mannes aus Athen und lässt sie nicht mehr los. Hand in Hand gehen die beiden schließlich von der Bühne. Es ist Mittwoch, zehn Tage nach der Wahl in Griechenland . Tsipras absolviert nach vielen starken Worten einen Antrittsbesuch bei der EU. "Wir gehören zusammen", soll die Geste sagen. Für offene Worte und Unfreundlichkeit bleibt hinter verschlossenen Türen noch Zeit.

Die neue griechische Regierung hat sich also genau dort eingefunden, wo sie vorher so gar nicht sein wollte: in den Armen der Gemeinschaft. "Es gibt schon zu viele Risse in Europa, um neue entstehen zu lassen", hatte Tsipras am Abend zuvor in Rom gesagt. Während sein Finanzminister Gianis Varoufakis zunächst die Rolle des aggressiven "bad guy" übernahm, entschied Tsipras sich für die Besetzung des ausgleichenden "good guy". "Griechenland gehört zu dieser Gemeinschaft und wir wollen gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern die Probleme lösen, damit beide Seiten vorankommen", sagte er dann auch in Brüssel .

Dort zeigte man sich erstaunt, dass nach Tagen voller scharfer Töne, die dann wieder korrigiert wurden, nunmehr der Eindruck entsteht, Tsipras und seine Leute seien unvorbereitet in den Wahlsieg gestolpert und würden sich selbst gerade erst ordnen. Schuldenschnitt? Ja, dann wieder nein. Geld aus Russland? Wohl doch nicht. Nicht einmal der Rauswurf der Troika scheint noch zu stehen. Gestern stellte Regierungssprecher Gabriil Sakellaridis klar: "Es gibt keine Abwendung." Ja, was denn nun? Keiner weiß genau, wofür die neue Führung steht.

Tsipras hatte seine Hoffnungen auf den Mann gesetzt, den er am Dienstagabend aufsuchte: Italiens Regierungschef Matteo Renzi, der als selbst ernannter "Turbo-Reformator" gestartet und mit der gleichen Antipathie gegen die eiserne Lady aus Berlin angetreten war, deren Sparkurs er durchbrechen wollte. Doch die Zeiten haben sich längst geändert. Inzwischen, so wird in Brüssel kolportiert, zeige Renzi bei jedem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Angela Merkel ein kleines Booklet, in das er seine Reformschritte eingetragen hat. Als Tsipras in der Hoffnung auf Rückendeckung bei ihm antrat, gab es gelinde gesagt eine Abfuhr für die griechischen Erwartungen eines Schuldenschnitts.

Die Zahlen bleiben indes unverändert dramatisch: Athen steht mit 320 Milliarden Euro bei seinen Gläubigern in der Kreide. Um da herunterzukommen, drängt die neue Regierung auf einen Nachlass oder vergleichbare Maßnahmen. Athen kann sich offenbar vorstellen, die ohnehin schon auf 30 bis 50 Jahre gestreckten Laufzeiten der Kredite erneut zu verlängern und die heutigen Zinsen von 1,5 Prozent zu senken. Gleichzeitig denkt man offenbar daran, die bisherigen Finanzhilfen der europäischen Partner durch Papiere zu ersetzen, die an das Wirtschaftswachstum des Mittelmeerlandes gekoppelt sind. Griechenland-Bonds, die die Europäische Zentralbank (EZB) gekauft hatte, sollten durch Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit ersetzt werden. Zudem soll Tsipras in Brüssel zugesagt haben, die Steuerhinterziehung hart zu bekämpfen.

Ein Austritt der Griechen aus dem Euro sei keine Option mehr, betont man in Brüssel . Athen wiederum revanchierte sich mit der Klarstellung, zum Euro-Raum zu gehören. Die zunächst auseinanderdriftenden Kräfte bewegen sich erkennbar wieder aufeinander zu. Der große Showdown steht in einer Woche an. Dann kommen die 28 Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel nach Brüssel . Die Misstöne, Richtigstellungen, Klärungen und Widersprüche der vergangenen Tage haben tiefe Spuren hinterlassen. Zwar gibt es einen gemeinsamen Nenner aller Europäer: das klare Nein zu einem Schuldennachlass. Über alles andere scheint man reden zu wollen und zu können. Frankreichs Finanzminister Michel Sapin jedenfalls zeigte offen "großes Verständnis für die Sorgen" der neuen griechischen Führung und erklärte sich bereit, Athen bei seinen Bemühungen um eine "neue Finanzpolitik" zu unterstützen. So könnte, das wird in Brüssel befürchtet, eben doch so etwas wie eine Front entstehen zwischen denen, die mit ihren Schulden ringen, und jenen, die von sich behaupten, dass sie über den Berg sind.

Doch bevor die EU und die Griechen miteinander über langfristige Wege aus der Schulden-Krise sprechen, müssen beide Seiten eine ganz andere Frage beantworten: Wie soll verhindert werden, dass Griechenland nicht in vier oder fünf Wochen pleite ist? Denn das Hilfsprogramm der Europäer läuft Ende Februar aus, kurz danach werden erste Forderungen fällig. "Helft uns, unser Land zu reformieren", sandte Varoufakis gestern einen Hilferuf an die Partner. Ansonsten werde sein Land "ersticken".

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