Obama als Verteidiger des "amerikanischen Traums"

Washington. Debbie Bosanek schaut verlegen um sich, als sich die Kameras im Kongress auf sie richten. Sie weiß, dass in diesem Moment 50 Millionen TV-Zuschauer einen Blick auf die vielleicht berühmteste Sekretärin Amerikas werfen. US-Präsident Barack Obama hat die rechte Hand des Milliardärs Warren Buffett eingeladen, um seine Forderung nach Fairness und Gerechtigkeit zu illustrieren

 US-Präsident Barack Obama spricht im Kongress zur "Lage der Nation". Foto: Loeb/dpa

US-Präsident Barack Obama spricht im Kongress zur "Lage der Nation". Foto: Loeb/dpa

Washington. Debbie Bosanek schaut verlegen um sich, als sich die Kameras im Kongress auf sie richten. Sie weiß, dass in diesem Moment 50 Millionen TV-Zuschauer einen Blick auf die vielleicht berühmteste Sekretärin Amerikas werfen. US-Präsident Barack Obama hat die rechte Hand des Milliardärs Warren Buffett eingeladen, um seine Forderung nach Fairness und Gerechtigkeit zu illustrieren. "Von einem Milliardär zu verlangen, so viel Steuern zu zahlen wie seine Sekretärin, ist kein Klassenkampf, sondern gesunder Menschenverstand," poltert der Präsident. Bosanek klatscht. Wie auch Laurene Powell Jobs, Witwe des Apple-Gründers, die neben ihr in der Gäste-Galerie der First Lady Platz genommen hat. Fairness ist ein uramerikanischer Wert. Und der Präsident spricht an diesem Abend in seiner letzten Rede zur "Lage der Nation" vor den Wahlen im November viel darüber. Es wird das Leitthema seines Wahlkampfes sein, in dem er die Amerikaner vor einen klaren Richtungsentscheid stellen will."Wir können uns entweder auf ein Land verständigen, in dem es einer abnehmenden Zahl an Menschen wirklich gut geht, während eine wachsende Zahl kaum über die Runden kommt", spitzt Obama die Position seiner republikanischen Herausforderer zu, die den Staat und seine ordnende Hand aus dem Markt heraushalten wollen. "Oder wir stellen eine Wirtschaft wieder her, in der jeder eine faire Chance hat, jeder seinen fairen Anteil leistet und alle nach denselben Regeln spielen." Obama formuliert in seltener Klarheit, dass in Zeiten knapper Kassen die Lasten nicht einseitig verteilt werden dürften. Millionäre und Milliardäre müssten ihren Teil tun. Stichwort Steuergerechtigkeit. "Eine Steuerreform sollte der Buffett-Regel folgen. Wer mehr als eine Million Dollar im Jahr verdient, sollte mindestens 30 Prozent Steuern zahlen."

Dieser Satz stand schon in der Rede, als der bisherige Spitzenreiter im Feld der republikanischen Präsidentschafts-Kandidaten, Mitt Romney, seine Steuererklärungen noch unter Verschluss hielt. Umso mehr kontrastierten sie an diesem Tag, an dem der ehemalige Chef des Investmenthauses "Bain Capital" seine Steuern der vergangenen beiden Jahre offen legte. Auf 42 Millionen Dollar aus Kapitaleinkünften zahlte Romney im Schnitt 13,9 Prozent Steuern. Gewiss ein niedrigerer Steuersatz als der von Buffetts Sekretärin Debbie Bosanek.

Während die "State-of-the-Union"-Rede vor dem Kongress die übliche Liste an Initiativen und einen Rückblick auf das Erreichte enthielt, hatten die Schreiber im Weißen Haus schon den November fest im Visier. Die zur Hauptsendezeit im Fernsehen ausgestrahlte Rede war die beste Möglichkeit des Präsidenten, einen Kontrast zu den Republikanern zu schaffen, deren unentschiedene Vorwahlen seit Wochen die Medien dominieren.

Obama nutzte die Chance vor beiden Häusern des US-Kongresses effektiv, in dem er sich als Verteidiger des "amerikanischen Traums" in Stellung brachte, dessen Erfüllung von Gerechtigkeit und Fairness abhängt. Ein Thema, das der Präsident im Dezember im Sprengel Osawatomie im US-Bundesstaat Kansas anstimmte. Dort hatte vor mehr als hundert Jahren der republikanische Präsident Theodore Roosevelt das Hohelied der "menschlichen Wohlfahrt" gesungen. Bisher scheint dieser populistische Kurs für Obama besser zu funktionieren als der lange praktizierte Zentrismus. In jüngsten Umfragen kletterten seine Zustimmungswerte wieder über die kritische 50-Prozent-Marke.

Außenpolitisch hob Obama die robuste Diplomatie seiner Regierung hervor, die zu einer geschlossenen Front gegen Iran und Sanktionen mit Biss geführt hätten. Obama bekräftigte zudem die unverrückbare Freundschaft zu Europa und Israel. Die erfolgreiche Kommando-Aktion gegen Osama bin Laden nutzte der Präsident als Metapher für ein Amerika, das alles erreichen könne, wenn es nur zusammenarbeite. Wie damals niemand alleine gekämpft habe, so sei auch Amerika nur zusammen groß geworden. Solange die Nation sich daran erinnert, "wird unsere Union immer stark bleiben."

Schöne Worte reichen nicht

Von SZ-MitarbeiterFriedemann Diederichs

Wie ist es um die Lage der Nation in den USA bestellt? Geht es nach Präsident Obama, so ist das Land von ihm während einer tiefen Krise auf den richtigen Weg gebracht worden. Die Republikaner sehen das natürlich ganz anders - und halten Obama für gescheitert. Vor allem seine Philosophie, das Wohl der USA liege in noch mehr Staat und Kontrolle der Bürger durch die Regierungsapparate, stößt ihnen sauer auf.

 US-Präsident Barack Obama spricht im Kongress zur "Lage der Nation". Foto: Loeb/dpa

US-Präsident Barack Obama spricht im Kongress zur "Lage der Nation". Foto: Loeb/dpa

Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen. Die Wirtschaft zeigt leichte Erholungserscheinungen, doch das Land ist weiter von deutlichen Krisenerscheinungen geprägt. Obamas Problem ist dazu noch, dass die Nation mittlerweile unter einer Art Wulff-Syndrom leidet: Man kann die seit 2008 ewig gleichen Reden, Schuldzuweisungen und Ausflüchte des in der Wählergunst gefallenen Hoffnungsträgers nicht mehr hören - und will endlich Taten sehen. Schöne Worte allein reichen nicht mehr - und die Zeit läuft davon.

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