Neuer Blick auf das Drama der Passion

Freiburg/Bonn. Der Stoff gehört zum Schwersten, was ein Theologe sich vornehmen kann: die letzten Tage im Leben Jesu vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung

Freiburg/Bonn. Der Stoff gehört zum Schwersten, was ein Theologe sich vornehmen kann: die letzten Tage im Leben Jesu vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Hier verdichten sich die zentralen Fragen, und an ihnen haben sich von den Kirchenvätern bis zu den Theologen der Moderne viele kluge Köpfe abgearbeitet: Was hat Jesus beim Letzten Abendmahl getan, gesagt und gemeint? Wie ist er gestorben, und warum musste er eigentlich sterben? Was bedeutet es zu sagen, dass er für unsere Sünden geopfert wurde? Was hat es mit der Figur des Verräters Judas auf sich? Trifft die Juden Schuld? Ist der Bericht über die Auferstehung wörtlich zu verstehen oder nur "bildlich" zur Veranschaulichung eines irgendwie gearteten Neuanfangs?Allein die Tatsache, dass Joseph Ratzinger (Foto: afp) neben seinem nicht stressfreien "Hauptberuf" als Papst die Zeit fand, ein solches Buch mit 368 Seiten mit Bleistift und Diktiergerät abzufassen, ist bemerkenswert. Der zweite Teil des Werks "Jesus von Nazareth", der gestern herauskam, entstand zum Teil während seines Sommeraufenthalts in Castelgandolfo. Aber es ist kein flüchtig "nebenbei" geschriebenes oder gar zusammengeklaubtes Buch. Vielmehr hat der Papst die schwierige Materie sorgsam durchgearbeitet und sie mit Leichtigkeit auf den Punkt gebracht. Wie schon im ersten Teil seines Jesusbuches, der vor vier Jahren erschien, geht Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in seinem jüngsten Werk einen Mittelweg zwischen einer streng wissenschaftlichen und einer "gläubigen" Lesart des Neuen Testaments. Er nimmt die Ergebnisse der historisch-kritischen Textauslegung zur Kenntnis und ergänzt sie mit einem vom Glauben her kommenden Verstehen der Bibeltexte. Er zitiert ohne Berührungsängste protestantische Theologen und geht ebenso unbefangen zu Augustinus und anderen Kirchenvätern zurück.

Die Frage, mit welchem Grad von Autorität der Papst schreibt, wenn er ein Buch veröffentlicht, das ausdrücklich zur theologischen Debatte einlädt und ohne die dogmatische Verbindlichkeit eines päpstlichen Lehrschreibens daherkommt, drängt sich beim zweiten Teil des Jesusbuchs noch mehr auf als beim ersten.

Wenn der Papst etwa darlegt, welche Einsetzungsworte für die Eucharistie Jesus beim Letzten Abendmahl gesprochen hat und was er damit meinte, hat das Auswirkungen bis in die aktuelle Debatte um Neuübersetzungen der Messtexte. Interessant ist daher zu beobachten, wie Benedikt XVI. an manchen Stellen vorsichtig abwägt ("ich denke", "mir scheint") und an anderen Stellen zwar höflich, aber bestimmt sagt, wenn er ein Ende der theologischen Debatte für erreicht hält. Manchmal wird er sogar schneidend scharf gegenüber bestimmten Thesen moderner Exegeten.

Die Ergebnisse dieses theologisch begründeten Urteilens bergen nur wenige Überraschungen. Dass der Papst die Auferstehung für mehr hält als eine fromme Legende, war ebenso zu erwarten wie die Absage an die These einer Schuld "der Juden" an der Tötung Jesu.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Neue BücherUnsere Literaturseite stellt heute neben John Updikes großartigen nachgelassenen Erzählungen Michel Houllebecqs famosen Roman vor, für den er im Vorjahr den Prix Goncourt erhielt. Außerdem: Romane von Péter Esterházy und dem ergrauten Popdichte
Neue BücherUnsere Literaturseite stellt heute neben John Updikes großartigen nachgelassenen Erzählungen Michel Houllebecqs famosen Roman vor, für den er im Vorjahr den Prix Goncourt erhielt. Außerdem: Romane von Péter Esterházy und dem ergrauten Popdichte