Muslime beten in 2000 Moscheen für mehr Toleranz

Berlin · Die deutschen Islam-Verbände wollen die Deutungshoheit über ihre Religion nicht den Extremisten überlassen. Deshalb organisieren sie bundesweit ein Friedensgebet. Gleichzeitig fordern sie mehr Solidarität ein, wenn Moscheen angegriffen werden.

In einer bisher einmaligen Aktion haben die wichtigsten islamischen Organisationen in Deutschland für Freitag gemeinsam zu einem Tag "gegen Hass und Unrecht" aufgerufen. In über 2000 Moscheen soll für mehr Toleranz geworben und der islamistische Terror verurteilt werden. Auch prominente Politiker haben sich angesagt und werden bei Veranstaltungen nach den Freitagsgebeten in den muslimischen Gotteshäusern Reden halten. So wird Innenminister Thomas de Maizière (CDU ) in Hannover sprechen; andernorts werden Landesminister und Staatsministerin Aydan Özugus (SPD ) auftreten. Die Regierungschefs Hessens, Baden-Württembergs und Berlins sind für Kundgebungen in ihren Ländern angefragt. Der Aufruf des Islamrates, des Verbandes der Islamischen Kulturzentren, des Zentralrats der Muslime und der Türkisch-Islamischen Union richtet sich sowohl gegen die Brandanschläge auf Moscheen als auch gegen die Gewalt, die von Organisationen wie Islamischen Staates (IS) oder Boko Haram gegen Nichtmuslime ausgeübt wird. "Wir geben damit ein deutliches Zeichen, wofür der Islam tatsächlich steht", sagte Zekeriya Altug von der Türkisch-Islamischen Union.

Die vier aufrufenden Organisationen wählten Koranverse aus, die während des Freitagsgebetes gesprochen werden sollen. Der Vorsitzende des Zentralrats, Aiman Mazyek, sagte: "Wenn ein Jude angegriffen wird, bin ich Jude, wenn Christen im Irak vertrieben werden, bin ich Christ, und wenn Anschläge auf Moscheen verübt werden, bin ich Moslem." Seine Religion gebiete es, Opfer "egal welcher Couleur" zu schützen. Man solle die Extremisten nicht als islamisch bezeichnen, es handele sich schlichtweg um Terrorgruppen. Mazyek begrüßte, dass die Aktivitäten des IS in Deutschland verboten wurden. "Das hätte früher geschehen sollen." Die Symbole und Begriffe der Religion würden von den Extremisten missbraucht, um anderen Leid zuzufügen, sagte Altug.

Allerdings sind die Muslime auch besorgt über mehrere Brandanschläge auf ihre Gotteshäuser in den letzen Monaten. Sie hätten einen "statistischen Höhepunkt" erreicht, erklärte Ali Kizilkaya vom Islamrat. Die Reaktion der Politik darauf sei sehr zögerlich gewesen. Auch schienen die Ermittlungen der Polizei zaghaft zu verlaufen, kritisierte Kizilkaya. "Wenn so etwas in einem Land geschieht und die Gesellschaft schaut nicht hin, dann ist bald der nächste dran." Mazyek erkannte in dem Geschehen eine Parallelität zu den NSU-Morden.

Auch die muslimischen Verbände beschäftigt, dass etliche junge Migranten aus Deutschland den Weg auf die syrischen und irakischen Kriegsfelder gefunden haben. Allerdings handele es sich oft um Jugendliche mit ganz anderen sozialen und familiären Problemen. Mit dem Islam habe das wenig zu tun. Es handele sich um ein Thema, dem sich die ganze Gesellschaft widmen müsse, nicht nur die Muslime , sagte Kizilkaya. "Schließlich sind es unsere Jugendlichen."

Meinung:

Dieser Schrittist überfällig

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Die vier großen islamischen Organisationen haben zu Recht kritisiert, dass die Aktivitäten der Terrororganisation "Islamischer Staat" reichlich spät in Deutschland verboten wurden. Allerdings müssen sich die Verbände nun auch die Frage gefallen lassen, warum ihr Aktionsaufruf "gegen Hass und Unrecht" nicht schon früher erfolgt ist. Schließlich sorgt der IS im Irak bereits seit Monaten mit brutaler Gewalt für Angst und Schrecken. Im Namen Allahs.

Kräfte wie der IS oder Boko Haram rücken alle friedliebenden Muslime ins Zwielicht. Eine laute und deutliche Distanzierung der islamischen Organisationen hätte man sich deshalb von Anfang an gewünscht. Trotzdem: Besser spät als nie.

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