Mülleimer statt Wahlurne
Berlin · Die Wahlurne im Supermarkt? Geldstrafen für Nichtwähler? Nach der geringen Beteiligung an den jüngsten Wahlen steht die Politik unter Zugzwang. Doch die meisten Gegenmaßnahmen haben einen Haken.
Die geringe Beteiligung an den Landtagswahlen in Sachsen , Thüringen und Brandenburg - teilweise unter 50 Prozent - hat aufgeschreckt. Denn Politik verliert an Legitimation, wenn so viele Bürger den Urnen fernbleiben. Jetzt werden Gegenmaßnahmen diskutiert, von kleinen technischen Verbesserungen bis zu grundsätzlichen Entscheidungen. Eine Übersicht:
Wahlpflicht: Es gibt sie in etlichen Ländern, etwa Australien, Belgien oder der Türkei. Meist werden Verstöße mit einer Geldbuße belegt. In Deutschland verfolgt keine Partei das Modell, denn die Nachteile sind klar: Nimmt der Ruf der Demokratie nicht erst recht Schaden, wenn die Menschen für etwas mit Strafe bedroht werden, das eigentlich ein Freiheitsrecht ist? Und: Was nützt es, wenn die in die Wahlkabinen Getriebenen anschließend ungültige Stimmzettel abgeben?
Protestwahlstimme: Das ist ein Vorschlag der Initiative "Mehr Demokratie ". Auf dem Stimmzettel soll es dabei auch die Möglichkeit geben, "Enthaltung" anzukreuzen. Das würde jedoch wahrscheinlich einen Teil der Proteststimmen, die heute bei Gruppen wie den Piraten oder der AfD landen, umlenken. Dabei haben diese neuen Parteien oft Nichtwähler mobilisiert, ganz im Sinne höherer Wahlbeteiligung. Außerdem wären die Enthaltungsstimmen nicht mit Abgeordneten im Parlament repräsentiert. Die grundgesetzlich garantierte Gleichheit der Wahl wäre womöglich verletzt. Fraglich ist zudem, ob diejenigen, die bisher aus Desinteresse an Politik nicht wählen, extra in ein Wahllokal gehen, nur um dort ihr Desinteresse zu dokumentieren.
Mehr Abstimmungsmöglichkeiten: Über so etwas denkt die SPD nach. Wie in Schweden, wo man gute Erfahrungen damit gemacht hat, könnte es einen längeren Zeitraum, etwa 18 Tage geben. Außerdem könne man auch die Möglichkeit schaffen, die Stimme in einer Postfiliale oder gar im Supermarkt abzugeben. CDU-Chefin Angela Merkel ist jedoch skeptisch. Schon jetzt gebe es durch die Briefwahl einen langen Wahlzeitraum.
Zusammenlegung von Wahlen : Da, wo gleichzeitig mehrere Wahlen stattfinden, ist die Beteiligung regelmäßig höher. Allerdings lassen sich Landtags- und Bundestagswahlen nicht beliebig verschieben. Die Legislaturperioden sind ebenso wie die Verfahren bei einer vorzeitigen Neuwahl festgelegt, meist sogar in der Verfassung.
Das Wahlalter senken: Das erhöht die Zahl der Stimmberechtigten, aber nicht notwendigerweise die Beteiligung. In Brandenburg galt zum ersten Mal das Wahlalter 16 Jahre - dennoch lag die Beteiligung mit 47,9 Prozent so niedrig wie nie zuvor.
Bessere Motivation: Sie bleibt unter dem Strich die einzige Möglichkeit, die Beteiligung zu verbessern. Dazu können Kampagnen zur Bedeutung von Wahlen gehören. Vor allem aber muss die Politik selbst deutlich machen, dass es um etwas geht. Das klappt bei Persönlichkeitswahlen besser als bei Parteiwahlen, weshalb Reformer vorschlagen, diese Möglichkeiten auszubauen. Bis hin zur Direktwahl des Bundespräsidenten.
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HintergrundDie Wahlmüdigkeit der Saarländer schlägt sich vor allem bei den Kommunalwahlen nieder: Kaum die Hälfte gibt noch die Stimme ab. Ähnlich wie bei den Wahlen zum Europaparlament, wo im Mai gerade einmal 54 Prozent der saarländischen Wähler ihren politischen Willen kundtaten. 1979 waren es 81,1 Prozent gewesen.Noch weniger beteiligen sich die Saarländer an den Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten. So gaben 2009 nur 21,2 Prozent der Wähler bei der Stichwahl zum Direktor des Regionalverbandes ihre Stimme ab. 2011 wurde Charlotte Britz (SPD ) als Oberbürgermeisterin von Saarbrücken bestätigt - allerdings gingen nur 35,1 Prozent der Wähler zu den Urnen. tog