Mursi unter Druck

Kairo · Der ägyptische Präsident und seine Muslimbrüder geraten zunehmend unter Druck. Die Opposition stellt Mohammed Mursi ein Ultimatum. Mehrere Minister treten zurück. Wird sich der Staatschef halten?

Rauch steigt aus den Fenstern, die Scheiben sind eingeschlagen. Bürostühle liegen auf der Straße, an manchen Stellen brennt es noch. Am Tag nach den Massenprotesten erobern Demonstranten die Zentrale der Muslimbruderschaft im Kairoer Stadtteil Mokattam.

Zuvor hatte es dort eine Schießerei zwischen Islamisten und ihren Gegnern gegeben. Acht Menschen starben. Im ganzen Land zählte das Gesundheitsministerium 16 Todesopfer im neuen Machtkampf zwischen Islamisten und der Opposition. Die Protestbewegung will die Muslimbrüder nun auch aus der Führung des Landes vertreiben. Bis heute, 17.00 Uhr, solle Präsident Mohammed Mursi - der aus der Bewegung stammt - abtreten, lautet ihr Ultimatum.

Im Arabischen Frühling 2011 dauerten die Proteste in Ägypten genau 18 Tage lang, bis Langzeitpräsident Husni Mubarak stürzte. Mehr als 800 Demonstranten starben damals. In den Köpfen vieler Ägypter hat nun ein neuer Countdown begonnen. Wie lange noch wird sich Mursi halten, fragen sie sich. Wie vor zweieinhalb Jahren strömen wieder landesweit Hunderttausende Menschen auf die Straßen Kairos. Demonstrationen in dieser Größe hat es in Ägypten seit den Tagen des Aufstands gegen das alte System nicht mehr gegeben. Und auch heute ist die Zukunft des bevölkerungsreichsten arabischen Landes völlig ungewiss.

Die Regierung Mursi gerät zunehmend - auch von innen - unter Druck. Fünf Minister gaben am Sonntag nach den gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Gegnern und Befürwortern des Machthabers ihren Rückzug aus dessen Kabinett bekannt.

Dennoch unterscheidet sich die aktuelle Situation in Ägypten von der damaligen Zeit: Nach Beginn der Proteste im Januar 2011 hatte sich die ansonsten allgegenwärtige Polizei von den Straßen zurückgezogen. Es kam zu Massenausbrüchen aus den Gefängnissen. Schwerstkriminelle wie auch Islamisten kamen auf freien Fuß. Im ganzen Land wurden Einkaufszentren und Wohnungen geplündert. Aus Angst vor Überfällen bildeten Bürger Milizen. Trotz nächtlicher Ausgangssperren bewachten sie die Straßen zum Schutz ihrer Familien und der Nachbarn. Internet und Telefon wurden vorübergehend abgeschaltet. Das Land war völlig lahmgelegt. Eine derartige Eskalation gibt es in Ägypten derzeit noch nicht.

Zur Zeit der arabischen Umbrüche waren die Muslimbrüder zudem in der Opposition und mehr oder weniger im Untergrund aktiv. Sie waren es, die nach der Initialzündung durch die Jugendbewegung die Massen aus den Moscheen auf die öffentlichen Plätze brachten. Sie stellten eine mächtige und gut organisierte Alternative zu dem Regime Mubarak dar. Die derzeitige Oppositionsbewegung hat zwar ein gemeinsames Ziel: die Entmachtung der Muslimbruderschaft. Doch ansonsten sind die Gegner der Regierung sehr verschieden: Unter ihnen sind Linke, Liberale, Islamisten und Anhänger des alten Regimes.

Der Rückhalt für Oppositionsführer wie Hamdien Sabahi, Amre Mussa und Mohammed el-Baradei in der Gesellschaft ist nur schwer messbar. Alle drei waren zunächst auch zur Präsidentschaftswahl vor gut einem Jahr angetreten. Der Linke Sabahi schied in der ersten Wahlrunde mit etwa 21 Prozent aus, Amre Mussa kam auf rund elf Prozent. El-Baradei hatte sich einige Monate zuvor aus dem Rennen zurückgezogen.

Eine starke Kraft sind in Ägypten die Salafisten. Auch sie kritisieren Mursi, wenn auch aus einem ganz anderen Grund: Ihnen geht die Islamisierung des Landes nicht schnell und konsequent genug voran.

Zum Thema:

auf einen BlickPräsident Mohammed Mursi wurde im Juni 2012 als erster Präsident Ägyptens nach dem Sturz von Husni Mubarak vereidigt. Es folgte ein Jahr von Krisen und Gewalt: 24. Juni 2012: Die Wahlkommission erklärt Mursi von der Muslimbruderschaft nach einer Stichwahl zum Sieger. 12. August: Mursi setzt Verfassungsteile außer Kraft, mit denen seine Macht eingeschränkt war. 29. November: Im Eilverfahren peitscht das Verfassungskomitee Mursis Entwurf einer neuen Verfassung durch. 8. Dezember: Im Konflikt mit der Opposition gibt Mursi nach und annulliert seine Sondervollmachten. 25. Januar 2013: Am zweiten Jahrestag der "Revolution des 25. Januar" protestieren 500 000 Ägypter gegen Mursi. 2. Juni: Das oberste Verfassungsgericht spricht dem von Muslimbrüdern und Salafisten dominierten Oberhaus des Parlaments die Legitimität ab. 7. Juni: Mursi weist Rücktrittsforderungen zurück. dpa

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