Auf einer Stufe mit Afghanistan und China?

Berlin · USA und Deutschland sind echte Freunde, so hieß es. Doch stellen die Enthüllungen über die US-Lauschangriffe das transatlantische Verhältnis nun auf eine harte Belastungsprobe. Wusste der Bundesnachrichtendienst von der Ausspähung?

Die Enthüllungen über die Spähattacken amerikanischer Geheimdienste gegen EU-Institutionen und nahezu die gesamte Kommunikation der deutschen Bevölkerung haben gestern in Berlin wie eine Bombe eingeschlagen. Während die Opposition massive und schnelle Konsequenzen forderte, versuchte die Bundesregierung auf dem schmalen Grat zwischen deutlicher Empörung und gleichzeitiger diplomatischer Höflichkeit zu wandeln.

Regierungssprecher Steffen Seibert war kurzfristig statt seines Stellvertreters in der Bundespressekonferenz erschienen, um im Namen der Kanzlerin zu verkünden, dass man die Berichte "mit Verwunderung, ja mit Befremden" zur Kenntnis genommen habe. Nun erwarte man von den USA schnelle Aufklärung. Dies bezog Seibert vor allem auf die bekannt gewordenen Lauschangriffe gegen die EU in Brüssel und die Verwanzung von EU-Vertretungen in den USA. "Das Abhören von Freunden ist nicht akzeptabel. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg." Eine "sehr deutliche" europäische Reaktion werde folgen.

Die von der Opposition geforderte und auch von der EU-Kommission erwogene Einstellung der Verhandlungen über ein europäisch-amerikanisches Freihandelsabkommen gehört laut Regierung eher nicht dazu. "Wir wollen dieses Abkommen", sagte Seibert, fügte aber hinzu: "Klar ist auch: Ein solches Abkommen braucht Vertrauen."

Die Bundesregierung versuchte ihren Unmut zunächst diplomatisch zu überbringen. So lud das Außenministerium US-Botschafter Philip Murphy zum Gespräch ins Auswärtige Amt, wobei es die Bezeichnung "Einbestellung", die erste Stufe diplomatischer Sanktionen, sorgsam vermied. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla telefonierte mit seinem Kollegen im Weißen Haus, und die Spitzen der Geheimdienste nahmen ebenfalls Kontakte miteinander auf. Außenminister Guido Westerwelle sprach mit seinem Kollegen aus Großbritannien, dessen Geheimdienste offenbar mit dem US-Spionagenetzwerk zusammenarbeiten. Zudem will das Außenministerium die deutsche Botschaft in Washington und weitere Dienststellen in den USA auf Wanzen überprüfen.

Bezüglich der Speicherung von monatlich bis zu einer halben Milliarde Verbindungsdaten deutscher Telefon- und Internetnutzer durch den NSA zeigte sich die Regierung weniger entsetzt. Bereits beim Besuch von Präsident Obama habe Angela Merkel deutlich gemacht, dass es eine "richtige Balance" zwischen dem Schutz vor Terrorangriffen und dem Schutz der Privatsphäre geben müsse, sagte Seibert. "Darüber werden wir weiterhin mit den USA sehr ernsthaft sprechen." Zu der Frage, ob der Bundesnachrichtendienst von der Ausspähung gewusst oder deren Ergebnisse gar mit genutzt habe, äußerte sich Seibert nicht. Die Tätigkeit der Geheimdienste werde nur vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium dargelegt.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar nannte die Überwachung der Bürger einen schweren Eingriff in deutsche Grundrechte. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bemängelte den "defensiven Umgang" der Regierung mit der Affäre und sagte unter Bezug auf Kanzlerin Angela Merkel: "Es könnte den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekannt geworden ist." Ähnlich Linken-Fraktionschef Gregor Gysi: Er forderte eine Sondersitzung des Bundestages. Dort müsse die Regierung darlegen, in welchem Umfang ihr diese "einzigartige und umfassende Spionage gegenüber unserer gesamten Bevölkerung und unserer Wirtschaft bekannt war". Und der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin fand gar: Europa solle dem Enthüller der US-Geheimdienstpraktiken, Edward Snowden, Asyl gewähren.

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