Mercedes gegen die EU

Brüssel · Die EU und der Autokonzern Daimler liegen im Clinch. Der Grund: ein Kühlmittel, das die Umwelt wenig belastet. Das Mittel ist allerdings leicht entflammbar. Deshalb boykottiert es der Stuttgarter Autobauer.

Der heiße Krach um gekühlte Luxus-Karossen geht in die letzte Runde. Schon seit Monaten streiten der Autobauer Daimler und die EU-Kommission um die Frage, mit welchem Stoff die Fahrzeuge des Stuttgarter Autobauers gekühlt werden dürfen. Am heutigen Mittwoch wollen technische Experten der EU, Deutschlands und Frankreichs einen Schlichtungsversuch unternehmen. Bereits gestern rang EU-Industriekommissar Antonio Tajani stundenlang um eine erste Stellungnahme. Was dann kam, klang wie eine Kampfansage an Daimler: "Bis zum heutigen Tage gab es keine Bestätigung, dass die Sicherheitsbedenken, die vorgetragen wurden, allgemeiner Natur sind oder sich eher auf spezifische Systeme/Fahrzeuge beziehen."

Der Krach eskalierte, als Anfang dieses Jahres eine neue EU-Richtlinie in Kraft trat, die für Fahrzeuge mit einer nach 2011 erteilten Typgenehmigung ein weniger klimaschädliches Kühlungsmittel vorschreibt. Das bisher verwendete Präparat mit dem nichts sagenden Namen "R134a" durfte nicht länger verwendet werden, weil es als extrem umweltschädlich gilt. Mangels Alternativen griffen die Hersteller zum "R1234yf", ein Gas, das sich innerhalb weniger Tage in der Atmosphäre zersetzt und die Ozonschicht dadurch erst gar nicht belastet. Einziges Problem: Der CO{-2}-freundliche Ersatz ist hochgradig entflammbar. Bei einem Crash-Test, den die Daimler-Ingenieure im Herbst 2012 mit dem neuen Kältemittel durchführten, entzündete sich das neue Mittel, brannte lichterloh und es bildeten sich hochgiftige Dämpfe.

Angesichts dieser Situation entschied sich der Konzern für eine EU-gesetzeswidrige Weiterverwendung des alten Kältemittels bei inzwischen etwa 47 000 Fahrzeugen. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigte nachträglich die Rückkehr. Ein Schritt, den Brüssel nun ebenfalls noch einmal auf seine Zulässigkeit hin prüfen will. Konsequenzen zogen stattdessen die französischen Behörden. Sie verweigern seit Wochen den Premium-Fahrzeugen aus Schwaben die Betriebserlaubnis für französische Straßen.

Dass die Auto-Krise bisher nur Daimler und nicht auch andere Hersteller trifft, hat vor allem mit einem Trick zu tun, den man bei VW, Audi, BMW und anderen offenbar schneller durchschaut hatte. Die meldeten ihre neuen Produktionen nämlich lediglich als Weiterentwicklung bestehender Typen an, so dass die Fahrzeuggenehmigungen nicht neu ausgestellt werden mussten. Mit einem erfreulichen Ergebnis: Sie können noch bis 2017 so weitermachen wie bisher. Mercedes ging den zwar korrekten, aber in diesem Fall harten Weg, der viel Ärger einbrachte.

Die EU-Kommission stellt sich bisher auf den klaren Standpunkt, dass keinerlei Sondergenehmigungen von einer geltenden EU-Richtlinie erteilt werden können. Darauf setzt man in Stuttgart allerdings. Inzwischen haben sich die Baden-Württemberger auch mit den anderen Herstellern auf einen gemeinsamen Vorstoß geeinigt. Demnach könnte das alte Kühlmittel mit einer Übergangsgenehmigung noch genutzt werden, bis eine Alternative zum leicht entzündlichen "R1234yf" vorhanden ist. Die Technik dazu gibt es bereits: Sie basiert auf Kohlendioxid. Klimaschutz-Experten und auch das Umweltbundesamt halten dessen Verwendung für die mit Abstand beste Alternative. Doch es gibt ein Problem: Bisher fertigt kein Hersteller Klimaanlangen, die den höheren Druckverhältnissen standhalten. Von Serienreife kann keine Rede sein. Brüssel müsste sich also bereiterklären, eine Richtlinie über mutmaßlich mehrere Jahre hinweg außer Kraft zu setzen.

Bisher hat Tajani nicht erkennen lassen, dass er sich auf einen solchen Handel einlassen will. Stattdessen treibt er ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland voran und fühlt sich von der Reaktion der französischen Behörden noch ermutigt.

Sollte Daimler tatsächlich keine Ausnahmegenehmigung für einige Jahre erhalten, wäre das ein schwerer Schlag für die Hersteller. Denn in letzter Konsequenz geht es um die Typgenehmigung für Autos der neu entwickelten A-, B-, S- und SL-Reihen. In Brüssel wird allerdings auch spekuliert, dass die harte Haltung der französischen Regierung eine Revanche für die geplatzten Gespräche über neue CO{-2}-Grenzwerte für Pkw vor einem Monat sein könnte. Die wurden nach einem Einspruch der Bundeskanzlerin ausgesetzt, weil die künftigen Höchstwerte für deutsche Premium-Hersteller schwerer zu erfüllen gewesen wären, als für die französischen Kleinwagen-Produzenten.

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HintergrundBeim Kältemittel "R1234yf" handelt es sich um eine Substanz, die chemisch korrekt 2,3,3,3-Tetrafluorpropen heißt und von den beiden Herstellern Dupont beziehungsweise Honeywell produziert wird. Es ist ein farbloses Gas mit schwachem Eigengeruch. Der eigentliche Vorteil: Es schädigt die Ozonschicht nicht, weil es sich nur zwölf Tage in der Atmosphäre aufhält und sich dann abbaut. Das Problem ist allerdings die schnelle Entzündbarkeit des Mittels, wenn es sich mit Luft mischt. Sogar das Umweltbundesamt hat dieses Risiko bejaht. Zur Entzündung sei keineswegs gleich ein Autobrand erforderlich, schon der Kontakt mit heißen Motorteilen reiche, um "R1234yf" hochgehen zu lassen. Das Ergebnis dieses chemischen Prozesses ist dann Flusssäure (auch Fluorwasserstoffsäure genannt), die extrem gefährlich ist, weil sie die Haut verätzt. dr

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