Explosive Erinnerung an die Gefahr des Terrors

Berlin. Sechsstöckige Betonbauten reihen sich in der Siedlung aus den 70er-Jahren im südlichen Berlin-Neukölln aneinander. Die Gegend gilt als sozialer Brennpunkt, die Polizei hat hier viel zu tun. Dass aber ein Hauseingang den ganzen Tag von bewaffneten Polizisten bewacht wird, ist doch ungewöhnlich. Hier wohnte einer der beiden Terrorverdächtigen, die gestern gefasst wurden

Berlin. Sechsstöckige Betonbauten reihen sich in der Siedlung aus den 70er-Jahren im südlichen Berlin-Neukölln aneinander. Die Gegend gilt als sozialer Brennpunkt, die Polizei hat hier viel zu tun. Dass aber ein Hauseingang den ganzen Tag von bewaffneten Polizisten bewacht wird, ist doch ungewöhnlich. Hier wohnte einer der beiden Terrorverdächtigen, die gestern gefasst wurden.Nach monatelanger Observation schlugen die Spezialisten des Berliner Landeskriminalamtes am Vormittag zu - drei Tage vor dem 10. Jahrestag der Terroranschläge von New York und Washington. Zwei junge Männer arabischer Abstammung wurden festgenommen - ein 28-Jähriger aus dem Gaza-Streifen und ein 24-Jähriger mit deutschem Pass und libanesischen Wurzeln. Sie hatten bei verschiedenen Firmen Kühlelemente und Säure bestellt. "Damit hätten sie einen Sprengsatz von erheblicher Sprengwirkung herstellen können", sagte ein Polizeisprecher. Was die Männer aber konkret im Schilde führten, ist noch nicht klar. Von einem geplanten islamistischen Terroranschlag will die Polizei nicht explizit sprechen.

Einen Zusammenhang mit dem Jahrestag der Anschläge sehen die Ermittler nicht. "Wir haben keinen Hinweis darauf, dass hier am 11. September eine Bombe hochgehen sollte", sagte ein Sprecher. Aber der Fall ruft in Erinnerung, dass die Terrorgefahr in Deutschland noch lange nicht gebannt ist. Und die Festnahmen stehen zumindest in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Jahrestag von 9/11 an diesem Wochenende und dem in zwei Wochen bevorstehenden Papstbesuch in Berlin. Wegen dieser kritischen Daten sind die Behörden besonders wachsam. Experten gehen zudem davon aus, dass die Terrororganisation Al Qaida und ihre Ableger nach dem Tod ihres Führers Osama bin Laden Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen wollen.

Die Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft liefen schon länger. Die Firmen, bei denen die Männer die Chemikalien bestellten, informierten die Polizei. Fahnder sollen die Verdächtigen daraufhin eng überwacht haben. Die Fahnder durchsuchten neben den beiden Wohnungen der Männer auch Räume einer Moschee in der zweiten Etage eines alten Backsteinbaus im Stadtteil Wedding. Hier sollen die beiden Verdächtigen zeitweise auch gewohnt haben.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA ist auch Deutschland - vor allem wegen des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan - ins Fadenkreuz islamistischer Terroristen gerückt. Die Sicherheitsbehörden haben etliche mögliche Terroristen in Deutschland schon länger genau im Blick - vor allem solche, die Terror-Camps im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet besuchten oder dies geplant haben. Auf mehr als 200 Islamisten trifft dieses Profil nach Angaben von Ermittlern zu. "Ein Teil ist immer noch da, weit mehr als 100 Dschihadisten sind jedoch nach Deutschland zurückgekehrt", sagte Innen-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche kürzlich dem Berliner "Tagesspiegel".

Dass die Polizei nun zwei mutmaßliche Islamisten wohl in einem frühen Stadium der Anschlagsplanungen stellte, spricht für die Arbeit der Ermittler - oder für eine besonders vorsichtige Haltung, im Zweifel lieber festzunehmen. Erst im März hatte Deutschland den ersten vollendeten islamistischen Anschlag erlebt, als ein Einzeltäter am Frankfurter Flughafen auf US-Soldaten schoss und zwei von ihnen tödlich verletzte. Im April nahmen die Ermittler in Nordrhein-Westfalen drei mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder fest, die einen Anschlag geplant haben sollen.

Welche Dimension der Berliner Fall hat, werden die Ermittlungen noch zeigen müssen. Die Bundesanwaltschaft, die normalerweise bei Terrorfällen aktiv wird, schaltete sich zunächst nicht ein.

"Damit hätten sie einen Sprengsatz von erheblicher Sprengwirkung herstellen können."

Ein Polizeisprecher

Meinung

Das Land ist sicherer geworden

Von SZ-KorrespondentHagen Strauß

London, Madrid, irgendwann einmal Berlin? Dass die Hauptstadt auch im Visier von Terroristen ist, liegt auf der Hand: In Berlin befindet sich das politische Zentrum des Landes. Und nirgendwo sonst in Deutschland bildet sich die freiheitliche Lebensweise dieser Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt so deutlich ab. Genau deswegen ist die Stadt besonders gefährdet.

Im konkreten Fall hat vor allem die Wachsamkeit eines Chemikalien-Händlers einen offenbar geplanten Anschlag verhindert. Das belegt: Wenn Politiker mehr Aufmerksamkeit von den Bürgern fordern, klingt das zwar stets nach einer Worthülse. Aber genau das ist es auch, was dazu beitragen kann, eine Katastrophe abzuwenden. Den Behörden gebührt überdies Lob, dass sie nach monatelanger, akribischer Arbeit rechtzeitig mögliche Anschlagspläne durchkreuzt haben. Dieser Erfolg spricht dafür, dass die sicherheitspolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre, so umstritten sie mitunter auch gewesen sind, das Land sicherer gemacht haben.

Hintergrund

Auch die Vorbereitung eines Terroranschlags ist in Deutschland strafbar. Wer sich etwa in einem Terrorcamp ausbilden lässt, Waffen und gefährliche Stoffe herstellt oder verwahrt, kann mit Gefängnis zwischen sechs Monaten und zehn Jahren bestraft werden. Das regelt der Paragraf 89a des Strafgesetzbuches. Auch gegen die gestern festgenommenen Männer wird auf Grundlage dieser Regelung ermittelt. dpa

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