Die Steuer-Sau durchs Dorf getrieben

Die Halbwertzeit des Vorstoßes aus dem Umweltbundesamt war äußerst kurz. Schon nach wenigen Stunden kassierte die Regierung die Forderung der Behördenchefin Maria Krautzberger, aus Klimaschutzgründen den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für Milch und Fleisch abzuschaffen und stattdessen den vollen Satz von 19 Prozent zu erheben. Selbst Umwelt- und Verbrauchschützer reagierten teils entgeistert.

Und das nicht nur, weil 2017 ein Wahljahr ist und höhere Mehrwertsteuersätze für Lebensmittel am Ende vor allem Geringverdiener treffen würden. Vor allem aber, weil sich bisher keine Partei an eine echte Reform des kaum durchschaubaren Mehrwertsteuer-Dickichts herangetraut hat. Denn bei jeder Abschaffung eines Steuerprivilegs ist Ärger programmiert. Fielen Vergünstigungen für Lebensmittel weg - auf sie entfällt der Großteil der Subventionen - wären die Proteste besonders groß.

Zuletzt hatte die 2009 gestartete und vier Jahre später abgewählte Koalition aus Union und FDP vollmundig angekündigt, die vielen Ausnahmen bei den Mehrwertsteuersätzen auf den Prüfstand zu stellen. Aus der Radikalreform wurde nichts. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU ) musste resigniert aufgeben: "Solange wir zwei unterschiedliche Mehrwertsteuer-Sätze haben, werden wir uns mit diesem Thema völlig hoffnungslos wieder und wieder herumschlagen", sagte er. Und solange müsse man sich auch mit "absurden Fragen" beschäftigen.

Absurd ist das System tatsächlich. Wie etwa bei der Mini-Reform für Speisen von Imbissbuden deutlich wurde. So wurde nach einem "Currywurst"-Urteil klargestellt, dass für Essen von Stehimbissen und Essens-Theken der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent gilt - unabhängig davon, ob im Stehen und an "Verzehrvorrichtungen" gegessen wird oder die Speisen nur mitgenommen werden. Was Gastronomen aufschreien ließ, die sich wegen der vollen 19 Prozent benachteiligt fühlen.

Der reduzierte Mehrwertsteuersatz wurde 1968 eingeführt und beträgt seit 1983 unverändert sieben Prozent. Eigentlich sollte damit nicht mehr als das Existenzminimum privilegiert werden. Es geht um subventionierte Produkte, die dem Gemeinwohl dienen - wie Lebensmittel, Bücher oder Zeitungen, aber auch Leistungen im öffentlichen Nahverkehr oder Kulturangebote. 75 Prozent der ermäßigten Artikel sind Lebensmittel, wovon vor allem Geringverdiener profitieren. Wer allerdings einen Hummer oder eine Dose Kaviar kauft, muss 19 Prozent zahlen, da diese als Luxusgüter gelten. Der Staat lässt sich das mehr als 20 Milliarden Euro im Jahr kosten.

Die Liste seltsamer Vergünstigungen ist lang - auch wenn es immer mal kleinere Änderungen gab. So gilt etwa ein ermäßigter Satz für Kartoffeln aller Art, aber der Regelsatz für Süßkartoffeln; ein ermäßigter Satz für Tomatenmark und -saft, der normale Satz für Tomatenketchup und - soße.

Hinzu kommt, dass die EU ein wichtiges Wort mitzureden hat. So wird der Zollkodex auf europäischer Ebene beschlossen. Oder es wird auf EU-Ebene gebilligt, dass Mehrwertsteuersätze gesenkt werden können. So haben die Briten vor dem Brexit-Votum eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf weibliche Hygieneprodukte durchgesetzt. Die EU-Gegner hatten Brüssel im Streit um die "Tampon-Steuer" Sexismus vorgeworfen, weil auf weibliche Hygieneartikel in Großbritannien eine fünfprozentige Steuer fällig sei, Produkte wie Rasierer davon aber befreit seien. Die EU gab ihr Ok.

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