Die Kanzlerin rechnet selber nach

Brüssel. Angela Merkel hat getan, was kein Regierungschef vor ihr fertig brachte: In der Woche vor dem EU-Gipfel nahm sich die promovierte Physikerin das Klimaschutz-Paket der Brüsseler Kommission vor und rechnete selber nach. "Das ist nicht in Ordnung", lautet ihr zurückhaltender Kommentar. Außerdem habe man in Brüssel die "Strategie" zerlegt

Brüssel. Angela Merkel hat getan, was kein Regierungschef vor ihr fertig brachte: In der Woche vor dem EU-Gipfel nahm sich die promovierte Physikerin das Klimaschutz-Paket der Brüsseler Kommission vor und rechnete selber nach. "Das ist nicht in Ordnung", lautet ihr zurückhaltender Kommentar. Außerdem habe man in Brüssel die "Strategie" zerlegt. Und auch das führe nicht weiter. Heute will sie den Kollegen beim EU-Gipfel in Brüssel vorrechnen, was man alles besser machen könnte, ohne an den Klimaschutzzielen zu rütteln.Polen signalisiert BereitschaftDie Kanzlerin will wieder zusammenführen, was zusammen gehört - und findet dabei in dieser Woche mehr und mehr Fürsprecher. Am Dienstag signalisierte auch Polens Regierungschef Donald Tusk seine Bereitschaft, das Klimapaket mitzutragen. Merkels Linie: Man kann die europäische Wirtschaft gerade dadurch aus der Rezession führen, dass man in den Klimaschutz dort investiert, wo wirklich etwas bewegt werden kann. Anstatt also die sensible energieintensive Industrie zu zwingen, kostenpflichtige Emissionszertifikate zu kaufen, was diese geradezu einlädt, die Produktion in Nicht-EU-Regionen zu verlegen, solle man lieber alle Fördermöglichkeiten für Wärmedämmung an Häusern ausschöpfen. Dort liege nämlich das "eigentliche Reservoir" für große CO2-Reduzierungen. Doch der Weg dahin ist voller Stolpersteine. Die Kommission lehnt bislang alle Aufweichungen des kostenpflichtigen Zertifikate-Handels für die Chemie-, Stahl-, Aluminium- und Zementindustrie ab. Polen wiederum führt bislang die Opposition derer an, die fast alle Energie aus CO2-intensiver Kohle-Nutzung gewinnen und deshalb mit hohen Zusatzkosten rechnen müssten. Die Briten wollen da wiederum keine Ausnahmen zulassen. "Kein Wunder", heißt es in Berlin, auf der Insel gebe es kaum noch energieintensive Produktion. Deutschland versucht, die Rolle des Zauderers abzustreifen. Das 32-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm bewirke gegen die Rezession und für das Klima mehr, als eine drastische Staatsverschuldung durch Steuersenkungen. "In sieben Jahren droht Deutschland ein "schwerer demografischer Knick", heißt es in Berlin. Alles, was man jetzt beim Gipfel beschließe, dürfe die Lasten von morgen nicht erhöhen. Tatsächlich findet die Linie mehr und mehr Zuspruch unter den Regierungschefs der EU. Erst am Dienstag einigten sich die Unterhändler auf einen deutlichen Ausbau regenerativer Energien auf annähernd 20 Prozent bis zum Jahr 2020 - ein Beschäftigungsprogramm für die führende deutsche Industrie. Die neuen Grenzwerte für Pkw, an denen auch die Kanzlerin nicht mehr rütteln will, treffen selbst bei den Autobauern auf stille Zustimmung. "Das ist eine Herausforderung, die dem, der sie annimmt, den Markt von morgen sichert", sagt ein EU-Diplomat. Außerdem sind sich Paris und Berlin einig, dass man "Investitionsbremsen" lockern will, die durch Kommissionsauflagen verursacht werden. So soll in Deutschland die Telekom ihr Glasfasernetz nun doch verlegen können und dafür höhere Nutzungsgebühren von Wettbewerbern verlangen dürfen, um sich zu refinanzieren. Das wollte die Kommission verhindern - mit dem Erfolg, dass allein hierzulande rund vier Milliarden Euro ungenutzt auf Halde liegen.Kaum Fortschritte dürfte es dagegen beim Umbau der Gemeinschaft selbst geben. Irlands Premierminister Brian Cowen, so heißt es, werde ein zweites Referendum für Ende September 2009 ankündigen.

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