Der Mythos vom Terrorismus aus Armut

Washington. Umar Farouk Abdulmutallab, der 23-jährige "Unterwäsche-Bomber", führte bis zu seiner Tat am 25. Dezember ein behütetes, von Luxus geprägtes Leben. Ein Apartment in London, dessen Wert auf zwei Millionen Pfund geschätzt wird. Ein Studienplatz an einer der führenden Universitäten Großbritanniens

Washington. Umar Farouk Abdulmutallab, der 23-jährige "Unterwäsche-Bomber", führte bis zu seiner Tat am 25. Dezember ein behütetes, von Luxus geprägtes Leben. Ein Apartment in London, dessen Wert auf zwei Millionen Pfund geschätzt wird. Ein Studienplatz an einer der führenden Universitäten Großbritanniens. Und begüterte wie einflussreiche Eltern, die in Nigeria zu den "oberen Tausend" gezählt werden. Doch obwohl ihm damit alle Wege offenstanden, entschied sich Abdulmuttalab für den Radikalismus - und den Versuch, unter Einsatz seines Lebens ein Passagierflugzeug zu zerstören. Auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Wende - doch keinesfalls überraschend, legt man Studien und die Biografien anderer islamischer Terroristen zugrunde. Denn die weitverbreitete Ansicht, vor allem in Armut aufwachsende Menschen ohne Lebensperspektive und ausreichende Bildung ziehe es in eine von Extremismus geprägte Laufbahn, ist mittlerweile ein leicht widerlegbarer Mythos. Die Kette der Gegenargumente beginnt schon bei den Attentätern vom 11. September 2001. Der geständige "Architekt" der Anschläge, Al-Qaida-Führungsmitglied Khalid Scheich Mohammed, begann seine Ausbildung in den USA an einem College in North Carolina, um dann an einer Universität im selben Bundesstaat den Ingenieursabschluss zu erreichen. Der aus einer Millionärsfamilie stammende Osama Bin Laden belegte Sommerkurse an der Universität Oxford. Flugzeugentführer Mohammed Atta studierte in Hamburg Stadtplanung, die meisten seiner 18 Mittäter stammten aus der saudi-arabischen Mittelklasse.Selbst Obama lag falschDer Selbstmord-Attentäter, der sich vergangene Woche auf einer CIA-Basis in Afghanistan in die Luft sprengte und acht Menschen in den Tod riss, ist ein Mediziner aus Jordanien, der als Doppelagent arbeitete. Sieben in Großbritannien verhaftete Islamisten, denen Autobomben-Anschläge zur Last gelegt werden, ließen sich ebenfalls als Mediziner ausbilden. Und auch Dr. Ayman al-Zawahari, die Nummer zwei der Al Qaida, ist Arzt. Das Gesamtvermögen von Al Qaida schätzen Terrorexperten zudem auf beeindruckende vier Milliarden US-Dollar (2,8 Milliarden Euro).Dass weltweit viele Politiker weiter unbeirrt an der These festhalten, schlechte soziale Verhältnisse würden den wichtigsten Nährboden für ein extremistisches Verhalten bilden, ist deshalb verwunderlich. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center erhöhte die US-Regierung die Hilfszahlungen an arabische Staaten, um dort Missstände zu bekämpfen. Auch Barack Obama ist ein überzeugter Vertreter der "Terror aus der Unterschicht"-Theorie. "Meistens wächst Radikalismus aus einem Klima von Armut und Ignoranz, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung", schrieb er nach den Attacken.Dass dies eine Fehldiagnose ist, die vermutlich auch den Blick auf den tatsächlichen Hintergrund von Terrorattacken - ein alles übertrumpfender religiöser Fanatismus - vernebelt, wiesen schon im Jahr 2003 Ökonomen der renommierten Princeton-Universität nach. Alan Krueger und Jitka Maleckova kamen zu dem Fazit, es gebe "keinen Beleg dafür, dass Armut und Terrorismus zusammenhängen". Andere Untersuchungen verweisen darauf, dass es in den 50 ärmsten Ländern der Welt keinen Terrorismus oder nur Einzelfälle davon gibt. Eine Erhebung in Indien ergab, dass extremistische Tendenzen ausgerechnet in den wohlhabendsten Regionen wie im Punjab dominieren. Und in arabischen Ländern stammen islamische Terroristen meistens nicht aus den ärmsten Gegenden, sondern kommen aus Orten, wo die aktivsten radikalen Hassprediger ihren Wohnsitz haben.Fanatismus als UrsacheDiese Erkenntnisse gelten auch für den Nahost-Konflikt, wie Untersuchungen über die palästinensische Hamas-Organisation belegen. Der frühere Hamas-Chefideologe Abdel Rantissi war ein in Ägypten ausgebildeter und fließend englisch sprechender Kinderarzt. Der renommierte US-Terrorforscher Claude Berrebi von der Princeton-Universität untersuchte vor zwei Jahren anhand von Hamas-Veröffentlichungen die Lebensläufe von nahezu 300 Mitgliedern der Terrororganisation, die sich als Selbstmord-Attentäter zur Verfügung gestellt hatten. Der überwiegende Teil hatte eine Universität besucht. Auch hier ergab sich das Fazit: Nicht die Herkunft oder sozialen Umstände, sondern religiöse Verblendung führte sie auf den Pfad zum Extremismus.

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