Salafismus Der „Lego“-Islam der Radikalen

Saarbrücken/Osnabrück · Die Zahl der gewaltbereiten Salafisten steigt. Nun haben deutsche Forscher eine Whatsapp-Gruppe untersucht, aus der ein Terroranschlag hervorging.

 ARCHIV - ILLUSTRATION - Das Wort "Salafist" steht am 03.08.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) auf einem Buch geschrieben. (zu dpa "Wissenschaftler untersuchen Radikalisierung junger Salafisten" vom 10.07.2017) Foto: Christoph Schmidt/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

ARCHIV - ILLUSTRATION - Das Wort "Salafist" steht am 03.08.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) auf einem Buch geschrieben. (zu dpa "Wissenschaftler untersuchen Radikalisierung junger Salafisten" vom 10.07.2017) Foto: Christoph Schmidt/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Foto: dpa/Christoph Schmidt

„Wir sind alle Salafisten“, sagt Mehdi Harichane, der zweite Vorsitzende der Islamischen Gemeinde in Burbach. Ein Satz, den nicht wenige mit Kopfschütteln quittieren würden. Doch Harichane sagt ihn ganz bewusst. Denn er will den Begriff nicht den Radikalen überlassen. „Salafist“ bedeute im Arabischen lediglich „Nachfolger des Propheten Mohammed“. Dem Wortsinn nach lebe jemand, der dem Salafismus anhänge, lediglich nach den Regeln der Urväter des Islam. Die Bezeichnung werde von denjenigen missbraucht, die sich für „bessere Muslimen“ hielten.

Dass Radikale ihre ganz eigenen Interpretationen des Islam verbreiten, ist ein Phänomen, das auch eine gestern vorgestellte Studie deutscher Forscher bestätigt. Islamwissenschaftler der Universität Osnabrück und Gewaltfforscher der Universität Bielefeld haben den Radikalisierungsprozess jugendlicher Dschihadisten analysiert und festgestellt: Die Jugendlichen bauen sich getreu dem „Lego“-Prinzip ihren eigenen Islam. Ihre Quelle: das Internet. Der Osnabrücker Islamwissenschaftler Michael Kiefer spricht von einer „Islamisierung der Radikalität“. Grundlage dieses Befunds ist der Chat-Verlauf einer Whatsapp-Gruppe, deren Ziel ein terroristischer Anschlag war. Die Mitglieder: zwölf Männer zwischen 15 und 35 Jahren.

Zu der konkreten Tat wollten die Forscher keine Angaben machen, Anspielungen legen jedoch nahe, dass es sich um den Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen im Frühjahr 2016 handelt, bei dem drei Menschen verletzt wurden. Wegen der Tat waren drei 17-Jährige zu Jugendstrafen zwischen sechs und sieben Jahren verurteilt worden.

Die Gruppenchat-Nutzer hätten so gut wie keine Bindung an Moscheegemeinden oder traditionelle Formen des Islam gehabt, sagen die Forscher. Diskutiert wurde über Beziehungen, Freundschaften oder Sex. Die Jugendlichen träumten davon, auf den Schlachtfeldern des Dschihad zu stehen und dabei zum Mann zu werden.

Studienautor Andreas Zick warnt vor dem „digitalen Dschihad“. Dieser sei besonders jugendnah, weil er normale Fragen radikal beantworte. „Dschihad ist zur Leitkultur geworden“, sagt Zick. Es gebe schon erste Online-Angebote für Kinder.

Jüngsten Zahlen der Verfassungsschutzbehörden zufolge hat die Zahl der Salafisten, die zu den radikalen Islamisten gehören, zugenommen: Deutschlandweit stieg sie von 8350 im Jahr 2015 auf 10 100 im vergangenen Jahr. Im Saarland waren es rund 200 Personen. Die Zahl ist in der Region im Vergleich zum Vorjahr um 50 Personen gestiegen, etwa zehn Prozent gelten als gewaltorientiert. Die meisten Salafisten sind Männer zwischen 26 und 35 Jahren. Über 90 Prozent haben einen Migrationshintergrund.

Doch wie kann man ihnen Einhalt gebieten? Darauf haben selbst die Forscher keine Antwort. Sie beklagen, dass es in Deutschland noch kein wissenschaftliches Institut gebe, das sich speziell mit der Analyse von Radikalisierung von Jugendlichen beschäftigt – im Unterschied zu Großbritannien oder den Niederlanden. „Wir brauchen dafür Mittel“, sagt Zick.

Darauf drängt auch der Burbacher Gemeindevorsitzende Mehdi Harichane. Denn er sieht nicht nur die Islamgemeinden in der Pflicht: „Man kann nicht von einer ehrenamtlichen Institution erwarten, dass wir die Rolle des Staates übernehmen.“

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